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Gibt es parallele Universen? Unser Kolumnist hat sich auf die Suche gemacht - und wurde fündig.

© dpa

Wahrheitssuche: In der Parallelwelt

Man muss nicht alles verstehen, zum Beispiel Wissenschaftler, die von fremden Universen sprechen. Unser Kolumnist hat seine Parallelwelt gefunden. In ihr regieren Fernsehsternchen und Komiker - und sie liegt gleich um die Ecke.

Ich habe eine kleine Schwäche für Dinge, die ich nicht verstehe. Zum Beispiel: Ich lese sehr gerne wissenschaftliche Texte, sie müssen allerdings auf einem niedrigen Niveau sein, also muss es wohl korrekt heißen: ich lese sehr gerne populärwissenschaftliche Texte. Ich verstehe davon leider nur die Hälfte – dennoch: Immer denke ich beim Lesen, dass ich eine Wahrheit erfahren werde, etwas, das mir weiterhilft im Leben.

In der aktuellen „Zeit“ ist ein Interview mit Lisa Randall. Die Frau ist Wissenschaftlerin, Physikerin, sie lehrt in Harvard theoretische Physik, sie ist auf diesem Posten die erste Frau in 400 Jahren. Randall hat eine Theorie, die Theorie besagt, dass das Universum nicht aus drei, sondern aus vier Raumdimensionen besteht. Sollte das so sein, müsse es also ein Paralleluniversum geben. Randall sagte dazu: „Mann kann die zwei aber auch als Teiluniversen eines größeren Universums auffassen, jedes mit eigenen Atomen und Kräften. Sie sind aber nicht unerreichbar weit voneinander entfernt, sondern hängen kausal zusammen.“ Auf die Nachfrage, wie weit genau die zwei Universen auseinander liegen würden, antwortet Randall: „Im Prinzip könnten sie beliebig weit auseinander oder nah beieinander liegen. Vermutlich sind es aber nur 10 hoch minus 31 Zentimeter.“

Nur 10 hoch minus 31 Zentimeter. Vor allem: „nur“. Kann man sich das vorstellen? Ich jedenfalls kann mir das nicht vorstellen – aber dass es eine Paralleluniversum gibt, das glaube ich nicht nur, das weiß ich, und das ist nicht 10 hoch minus 31 Zentimeter entfernt, das ist gleich um die Ecke. Eine fremde Welt. Eine Welt, über die ich staune, immer wieder.

In dieser Welt ist eine Frau namens Christine Neubauer ein Star, sie schafft für Fernsehsender unglaubliche Einschaltquoten, eine Welt, in der auch Veronica Ferres zu Hause ist. In dieser Welt lesen die Menschen Bücher von Nele Neuhaus und gehen ins Kino, um sich einen Film namens „Battleship“ anzuschauen. Die Menschen, die in dieser Welt leben, gehen im Media Markt einkaufen, weil sie tatsächlich denken, dass sie dann nicht blöd seien. Seit neustem bestellen sich diese Menschen auch gerne mal einen „Expresso“ - denn sie sind durchaus offen für „Neues“, deshalb haben sich auch ein sogenanntes Smartphone. Ihren Kindern geben sie „ungewöhnliche“ Namen, schließlich führen sie selbst ja auch ein „ungewöhnliches“ Leben, was sie zum Beispiel dadurch demonstrieren, dass sie über einen Menschen wie Bülent Ceylan lachen.

Sie interessieren sich auch für Philosophie, die Werke des Denkers Richard David Precht haben sie gelesen und sogar verstanden, und sie finden es sehr aufschlussreich, was ihnen Alfons Schuhbeck jeden Freitagabend in der Sendung von Markus Lanz über Gewürze erklärt. Politik spielt in dieser Welt eine Rolle, natürlich, denn man wird jawohl noch was sagen dürfen gegen Europa und gegen den Euro und gegen Israel, und selbstverständlich muss man schlimme Schwerverbrecher wegsperren, jedenfalls so lange, bis die Todesstrafe endlich wieder eingeführt wird. Eine Welt ist das, in der man nichts gegen Ausländer hat (man lacht ja über Bülent Ceylan), aber noch weniger hat man gegen die Thesen von Thilo Sarrazin, und wie die seit langem gleichgeschalteten Medien mit Günter Grass umgehen, sorgt in dieser Welt für Empörung. Aber zum Glück gibt es auch in dieser Welt das Internet, und zum Glück kann man sich da schön anonym über die andere Welt beschweren, über die schlechte Welt, in der die schlechten Menschen leben, und die alles immer nur mies machen wollen, Veronica Ferres und Nele Neuhaus und Bülent Ceylan.

Ich lebe ganz gern in dieser schlechten Welt. Die verstehe ich wenigstens.

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