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Wahrzeichen mit Schmuddelkulisse: Rettet das Brandenburger Tor!

Ständig zugerümpelt mit Buden, Gittern, Schrott: Wo der Ausnahmezustand zur kommerzialisierten Regel wird, leidet das Besondere. Ein Schutzkreis um Berlins Wahrzeichen wäre ein Gewinn für alle – und öffnet das Tor. Auch zur Silvesternacht.

Wenn jetzt beim Jahreswechsel zu den knallenden Korken und krachenden Böllern wieder das Brandenburger Tor und der Himmel über Berlin von Deutschlands strahlendstem Silvesterfeuerwerk erleuchtet werden, ist das einmal mehr ein Grund zur Freude, was sonst. Hoffnungen, Träume, Schäume gehören zu dieser Nacht, und Symbole der friedlich-fröhlichen Zeitenwende passen gerade zum Platz am Tor wie zu keinem anderen Ort unserer jüngsten Geschichte.

Das Besondere also prägt auch das rauschhaft Allgemeine oder, schlichter gesagt: solch feierseligen Ausnahmezustand. Und wer’s so dicht gedrängt, so laut oder lausekalt nicht mag, der feiert woanders oder wärmt sich am häuslichen Fernseher. Irgendwie sind dann doch fast alle Schlag zwölf mit von der Partie, mit von der Party, und das soll so sein. Ist schließlich Silvester.

Das ganz Besondere am Brandenburger Tor und rund um die Mitte der Berliner Mitte ist jedoch, dass hier sehr oft der Ausnahmezustand herrscht – und längst zur kommerzialisierten Regel wird. Womit der Reiz des Besonderen ganz schnell den Reibach runtergeht.

Blenden wir nur kurz zurück zur diesjährigen deutschen Einheitsfeier am 3. Oktober. Es ist zugleich das 50. Jahr seit dem Bau der Berliner Mauer, ein doppelter Fall des Gedenkens. Und der Freude, dass „das Tor“ nun auf ist. Aber, denkste! In den Tagen rund um den Feiertag verdeckte auf der Westseite, dem Platz des 18. März, eine Konzertbühne das Tor komplett. Und auf dem Pariser Platz, der östlichen Schauseite, rammelten Zeltabsperrungen und meterhohe Getränkewerbung das Wahrzeichen Berlins und Deutschlands derart zu, dass gerade noch die Quadriga, wie abgestellt auf einem Schrotthaufen, hinüberlugte.

Ein junges Paar aus Fernost, das gerade aus dem U-Bahnhof auf den Pariser Platz getreten war, hielt mir da seinen Reiseführer mit einer doppelseitigen wunderbaren Farbaufnahme des klassizistischen Denkmals und seiner in neuer Eleganz erstandenen Umgebung hin. Mit entgeistert verschrecktem, dem eigenen Augenschein nicht trauenwollendem Blick auf die ihm dargebotene Wirklichkeit: „This is Blandenbulgel Tol??“

Nein, toll ist das nicht. Und so geht es hier nicht nur zehntausenden Feiergästen aus aller Welt. So geht es Berlin-Touristen und Einheimischen, die sich oder ihren Freunden auf Besuch auch die berühmteste Adresse der Stadt zeigen wollen, viele Male im Jahr. Nicht einmal das Erinnerungsfoto mit jenem Tor-Motiv, für das Berlin seine so heftig umworbenen Gäste aus allen Kontinenten anzulocken sucht, ist dann möglich. Weil immer wieder Ausstellungs- und Wurstbuden, Container, Schrott, Ramsch und Absperrungen den Blick auf das nationale Wahrzeichen mit seinen würdevoll und einzigartig schlichten, im Vergleich zu andernorts üblichen Triumphbögen völlig unmartialischen Proportionen verstellen. Und dazu am Pariser Platz und auf dem Weg zum Reichstag eines der ganz wenigen harmonisch gefügten alt-neuen Bauensembles der Hauptstadt vermüllen.

Arm aber sexy? Eher armselig, aber käuflich.

An keinem vergleichbaren Ort in Paris, London, Rom, Washington, Moskau oder sonstwo wäre eine solche Entstellung des eigenen Gesichts überhaupt denkbar. Das wurde schon oft beklagt. Als Anrainer haben die Botschaften von Frankreich und den USA, haben die Akademie der Künste, das Hotel „Adlon“ und die im Liebermann-Haus tätige Stiftung Brandenburger Tor wiederholt, teils diplomatisch diskret, teils offen empört beim Berliner Senat protestiert. Ebenso wie diese und andere Zeitungen. Geführt hat das zu beinahe nichts.

Oder doch: Für das Stadtzentrum hat das unmittelbar zuständige Bezirksamt Mitte in Zusammenarbeit mit dem Senat im Sommer 2009 ein Richtlinienpapier für „Sondernutzungsgenehmigungen an ausgewählten Orten“ herausgegeben. Der Text, gedacht der Verbudung und Verhunzung herausragender Stätten wie zum Beispiel dem Bebelplatz oder dem Areal am Brandenburger Tor Einhalt zu gebieten, öffnete jedoch zahllosen Ausnahmefällen die Tür. Wer aber, wie die Berliner Politik, in jüngster Zeit über die „Rückgewinnung der historischen Stadtmitte“ nachdenkt, der müsste den Schutz der bestehenden, herausragenden Plätze und Baudenkmäler endlich zur Chefsache machen.

In den Tagen und Abenden um Weihnachten, als nur ein Christbaum und ein Chanukka-Leuchter auf dem Pariser Platz strahlten und durch das Brandenburger Tor die Lichter Unter den Linden und am westlichen Horizont die Goldelse der Siegessäule leuchteten, da war Berlins Mitte trotz aller Baustellen wieder eine Attraktion. Jetzt zu Silvester beherrschen zwar neuerlich eine Mammutbühne und tausend Absperrungen den Platz des 18. März vorm Tor, aber wegen der Installation des Feuerwerks bleibt aus Sicherheitsgründen wenigstens der Pariser Platz weitgehend frei. Nur deswegen ergibt sich von dort auch für die nächtlichen TV-Bilder in alle Welt eine halbwegs unverstellte Ansicht des Tors.

Berlin verdient nicht viel, im Jahr gerade ein paar hunderttausend Euro daran, dass es seine besten Seiten und Plätze billig an boomende Eventveranstalter vermietet. Es verliert damit jedes Mal ein Stück Gesicht, Wert und Würde. Arm, aber sexy? Eher armselig, aber käuflich. Und dämlich dazu. Klaus Wowereit, sein Stellvertreter Frank Henkel und der Senator für Stadtentwicklung Michael Müller sind da endlich zum Handeln aufgerufen. Es geht, wohlgemerkt, nicht um eine Variante von „Unser Dorf soll schöner werden“. Es geht auch nicht darum, in einer Metropolenmitte klösterliche Weihestätten zu schaffen. Sondern der Verhunzung auch als Verblödung Einhalt zu gebieten.

Es ginge nämlich auch intelligenter. Mit mehr Gewinn für alle. Wir haben ja nichts gegen Feiern und Feste. Doch sollte um das Brandenburger Tor eine kommerzielle Schutzmeile gezogen werden. Keine wirkliche Meile, sondern ein Zirkel von hundert bis zweihundert Metern. Das reicht. Es schont den Pariser Platz, und es bliebe immer noch die gesamte Fanmeile des 17. Juni. Mit Bühnen und Bildern als Werbung in alle Welt, die statt verstellt und verbudet die Kulisse des Brandenburger Tores in voller Schönheit zeigen würden. Nämlich frei und offen, ohne Zeltplanen, Gitter und Gerümpel zwischen und direkt vor den feinen Säulen. Berlins und Deutschlands Wahrzeichen wäre dann wieder jener reale Solitär, der seinen symbolischen Wert erst ausmacht.

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