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Meinung: Wandel durch Annäherung

Die Allianz lässt sich nur durch mehr gemeinsames Handeln stärken Von Markus Meckel

Bundeskanzler Schröder hat mit seiner Kritik am Zustand der Nato Recht. Die Allianz hat sich seit 1989 zwar sehr verändert: Sie hat sich nach Osten erweitert und eine Kooperation mit Russland und der Ukraine sowie im Mittelmeerraum aufgebaut. Im Strategischen Konzept von 1999 hat sie die globalen Herausforderungen benannt und 2002 einen tiefgreifenden Wandel der militärischen Strukturen beschlossen. Aber diese Maßnahmen haben nicht die gewünschte Revitalisierung gebracht. Denn noch immer ist unklar, wohin die Reise gehen soll.

Der Prüfstein für die Nato ist die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln, um zur Lösung internationaler Konflikte und anderer sicherheitspolitischer Herausforderungen beizutragen. Dies setzt einen gemeinsamen politischen Willen und geeignete Mittel voraus. Die Allianz ist an einer Wegscheide angekommen: Entweder entwickelt sie sich als verbindliche Partnerschaft mit gemeinsamer Entscheidungsfindung. Oder sie wird ein lockeres Forum, aus dem sich Ad hoc-Koalitionen unter Führung der USA bilden. Wir Europäer haben ein besonderes Interesse an der ersten Option, an einer gemeinsam und verbindlich entscheidenden und handelnden Allianz.

Dauerhafte gemeinsame Handlungsfähigkeit des Bündnisses setzt eine gemeinsame Situationsanalyse und einen offenen Diskurs über die Handlungsoptionen voraus. Solche offenen Debatten über strategische Fragen finden derzeit im Nato-Rat nicht statt. Bis heute ist mir ein Rätsel, dass das Vorgehen gegenüber dem Irak dort erst im Januar 2003 auf die Tagesordnung kam. In der Parlamentarischen Versammlung der Nato haben wir seit dem Frühjahr 2001 intensiv über die Ratio eines Irakkrieges gestritten. Heute wird dort über den Umgang mit Iran, die Zukunft des Kosovo und die Bedingungen für einen legitimen Einsatz militärischer Gewalt diskutiert. Solche Kontroversen gehören in die Nato selbst!

Die Zukunft der Nato wird in entscheidendem Maße davon abhängen, ob Europa zu einem starken Partner Amerikas wird. Die USA werden die Nato nur als zentral ansehen, wenn sie sich Vorteile von der Unterstützung durch leistungsfähige europäische Partner versprechen. Daher ist der Ausbau der EU-Außen- und Verteidigungspolitik eine Voraussetzung für gedeihliche transatlantische Kooperation. Dies bedeutet eine große Herausforderung für beide Seiten. Wir Europäer müssen Partnerschaftsfähigkeit entwickeln. Und die USA müssen sie akzeptieren.

Die sicherheitspolitischen Bedrohungen haben sich seit dem Kalten Krieg verändert. Globale Probleme wie der internationale Terrorismus, Proliferationsgefahr, Staatenzerfall, organisierte Kriminalität, Klimawandel, Aids und Armutsbekämpfung können nur mit einem umfassenden Ansatz bewältigt werden. Finanzielle, wirtschaftliche, wissenschaftliche, justizielle und andere zivile Mittel müssen im Verbund mit militärischen Mitteln eingesetzt werden. Viele sicherheitspolitische Fragen weisen nach heutiger Praxis über den Bereich der Nato hinaus.

Daher müssen wir ernsthaft erwägen, ob wir die Aufgaben und Fähigkeiten der Nato über das Militärische hinaus erweitern oder neben ihr einen neuen Kommunikationsrahmen schaffen sollten. In regelmäßigen Treffen könnten die USA und die EU (im Format „1 plus 1“) über gemeinsame Interessen und Probleme beraten und sich über ihr Vorgehen abstimmen. Die jährlichen Gipfeltreffen EU/USA werden dieser Aufgabe bisher leider nicht gerecht.

Bei allen Differenzen überwiegt das gemeinsame Interesse an der Bewältigung der globalen Risiken. Wenn wir uns offen über die unterschiedlichen Sicherheitsstrategien der USA und der EU auseinander setzen, haben wir die Chance, einen neuen transatlantischen Konsens zu finden. Wir brauchen eine Entscheidung über die künftige Rolle der Nato. Es reichen keine Treueschwüre, wir brauchen eine ehrliche Analyse der gemeinsamen Interessen und den politischen Willen, sich den Herausforderungen gemeinsam zu stellen.

Der Autor ist SPD-Abgeordneter und seit 1998 Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Er war Außenminister der demokratischen letzten DDR-Regierung.

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