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Meinung: Wann bleiben Lügen folgenlos?

„Notare dürfen schriftlich lügen“ vom 13. April Das ist ein spannender Artikel!

„Notare dürfen schriftlich lügen“ vom 13. April

Das ist ein spannender Artikel! Darf ich als ganz normaler Mensch eigentlich auch ungestraft schriftlich lügen? Das interessiert sicher viele Leser und ist auch hochgradig alltagstauglich.

Wolfgang Wiek, Berlin-Tempelhof

Es freut mich, dass die Lüge eines Notars Anlass zu einer gewissen Aufregung und Empörung gibt. Die zehn Gebote des Alten Testaments scheinen noch nicht vergessen. Das achte Gebot wird allgemein mit „Du sollst nicht lügen“ zitiert, und so gehört es zum Kodex unserer Moral. Der Lügner wird verachtet. Es gehört sich nicht, zu lügen. Für Katholiken ist die Lüge eine Sünde. Aber nicht alles, was wir moralisch verachten oder als Sünde bezeichnen, führt zu rechtlichen oder gar strafrechtlichen Folgen. Das heißt: Die Lüge, also die bewusste falsche Behauptung einer Tatsache, ist nicht strafbar. Der Lügner wird aber dann bestraft, wenn z. B. seine Lüge zu einem Schaden führt. Das kann dann Betrug sein. Die Behauptung einer falschen Tatsache über eine andere Person kann als Verleumdung strafbar sein. Dieses „falsche Zeugnis wider Deinen Nächsten“ wie das achte Gebot eigentlich lautet, kann auch zivilrechtlich nachteilige Folgen haben, und zwar sogar dann, wenn die falsche Behauptung nicht einmal bewusst falsch, sondern nur fahrlässig falsch abgegeben wurde. Unsere Medien müssen daher sorgfältig recherchieren. Stellen Sie eine falsche Behauptung über eine Person auf, hat diese Person das Recht, die Unterlassung dieser Behauptung zu verlangen oder eine sogenannte Gegendarstellung abdrucken zu lassen. Auch im Bereich des Vertragsrechts kann eine Lüge für den Lügner unangenehme Folgen haben. Ein aufgrund einer Lüge, die unser Zivilrecht als „arglistige Täuschung“ beschreibt, abgeschlossener Vertrag kann vom Getäuschten wegen Irrtums oder Täuschung angefochten werden, so dass er unwirksam wird.

Grundsätzlich ist es gleichgültig, ob man schriftlich oder mündlich lügt. Das eine ist genauso schlimm wie das andere. Obwohl die Schrift nicht so flüchtig ist wie das gesprochene Wort, fällt anscheinend die mündliche Lüge schwerer als die schriftliche. Jeder weiß, dass es einem meist nicht leichtfällt, einem anderen ins Gesicht zu lügen. Viele werden rot, ihre Sprache verändert sich, der Lügner weicht gern dem Blick des anderen aus, sogar die Körperhaltung ändert sich oft. Das alles fällt bei der schriftlichen Lüge weg. Bei ihr hat man kein Gegenüber. Deswegen hören Gerichte Zeugen mündlich an. Schriftstücke, in denen Zeugen das, was sie gesehen oder gehört haben, dem Gericht gegenüber bekunden, sind daher von geringem Beweiswert. Oder von gar keinem. Dennoch können auch sie als zumindest versuchter Betrug strafbar sein.

Unser Notar hatte mit seiner schriftlichen Lüge Glück. Zu Recht. Seine falsche Behauptung schädigte niemanden. Sie war auch keine Urkundenfälschung. Den Unterschied zwischen Urkundenfälschung und schriftlicher Lüge lernen Jurastudenten, wenn sie die ersten Strafrechtsvorlesungen hören. Urkundenfälschung ist nämlich nur die Täuschung über die Identität der Person, von der die Urkunde herrührt. Wenn der Inhalt der Urkunde falsch ist, liegt keine Urkundenfälschung vor, sondern nur eine schriftliche Lüge, die jedenfalls als Urkundenfälschung nicht strafbar ist. Wenn ein Minister der Wahrheit zuwider am Ende seiner Dissertation seiner Fakultät gegenüber erklärt, dass er die Arbeit ohne fremde Hilfe gefertigt habe, dann ist das keine Urkundenfälschung, sondern nur eine schriftliche Lüge. Die Staatsanwaltschaft hat daher im Falle unseres Notars richtig entschieden, wenn sie ihn nicht für strafbar hält. Wir können ihn also nur schief ansehen und die Nase rümpfen. Lügen gehört sich eben nicht. Erst recht nicht bei einem Notar, in dessen Integrität alle Bürger besonderes Vertrauen setzen.

Das gilt in gleicher Weise für Rechtsanwälte. Auch sie dürfen, obwohl sie „Organe der Rechtspflege“ sind, grundsätzlich lügen. Sie dürfen es nur dann nicht, wenn sie durch ihre Lüge ein Strafgesetz verletzen, also z. B. durch Lügen ihrem Mandanten in einem Zivilprozess etwas verschaffen, was ihm gerechterweise nicht zusteht. Dann begehen sie nämlich einen Prozessbetrug. Das ist eigentlich ganz einfach. Schwieriger hat es der Strafverteidiger, der weiß, dass sein Mandant der Täter ist und dennoch einen Freispruch für ihn beantragt. Das darf er, wenn er dabei nicht lügt. Er ist nicht verpflichtet, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das ist allein Aufgabe der Staatsanwaltschaft und des Gerichts. Auch deswegen schweigen Angeklagte vor Gericht gern. Auch sie dürfen zwar lügen. Lügen haben aber kurze Beine, werden also oft bemerkt. Wer schweigt, lügt nicht.

— Dr. Bernhard Dombek, Rechtsanwalt

und Notar a.D., Präsident der

Bundesrechtsanwaltskammer a.D.

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