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Meinung: War einmal ein Schurke

Heute schüttelt auch Schröder Gaddafi die Hand. Kritisch, hoffentlich

Es gibt sie noch, die skurrilen Momente in der Politik. Dieser Tage war wieder so einer. Venezuelas Staatspräsident Hugo Chavez hat einen, nun ja, Menschenrechtspreis erhalten. Wer ein Faible für die Absurditäten hat, die gelegentlich auch vor internationalem Parkett nicht Halt machen, bitte sehr: Es ist Libyens Revolutionsführer Muammar al Gaddafi, der den Preis ausgelobt hat. Ableiten lässt sich daraus nicht viel, eines indes schon: Emsig sind die Bemühungen des Regimes in Tripolis, nach einem fast zwei Jahrzehnte währenden, zunehmend lästiger werdenden Pariadasein den Weg in den Schoß der Völkergemeinschaft zurückzufinden. Die lässt, beileibe nicht ohne Eigennutz, Milde walten.

Am heutigen Freitag nun macht auch der Kanzler in Libyen Station. Und wie immer halbherzig, ernsthaft oder gar herzhaft der historische Händedruck im Palast des Revolutionsführers auch ausfallen wird, eines ist sicher: Die Salonfähigkeit Gaddafis wird sich danach wieder gesteigert haben. Der Kanzler reist trotzdem. Soll er? Darf er?

Zweimal Ja. Die Frage lautet nicht, ob er fliegen soll, sondern wie er auftreten muss. Unter dem Gesichtspunkt eines aufgeklärten Pragmatismus reist Gerhard Schröder sogar fast ein wenig spät nach Tripolis. Seine europäischen Kollegen Aznar (als er noch Spaniens Regierungschef war), Blair und Berlusconi waren allesamt schon da. Gaddafi selbst hatte seinen bis dato imposantesten Auftritt im April dieses Jahres in Brüssel. Viel hat sich getan, binnen weniger Monate. Mit Ausgleichszahlungen in Millionen- , ja Milliardenhöhe hat sich Libyen zu seiner Verantwortung für die furchtbaren Terroranschläge auf die Berliner Diskothek La Belle bekannt, zum Abschuss einer Passagiermaschine über Niger, zum Lockerbie-Attentat. Es hat sämtliche UN-Antiterrorkonventionen unterzeichnet und im Hintergrund bei Geiselbefreiungen die Fäden gezogen.

Viel löblicher geht es kaum. Den zentralen Mittelplatz auf der „Achse des Bösen“ gab der Wüstenstaat spätestens in dem Moment ab, als er ankündigte, bis dato geheim gehaltene Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen offen legen und – wichtiger – einstellen zu wollen. Zumindest in seiner Eigenwahrnehmung hat Gaddafi damit einen Schlussstrich unter sein Schurkendasein gezogen.

Seitdem, findet man an den Schaltstellen des alten Europa, wandelt Gaddafi recht respektabel im „Korridor der Kalkulierbarkeit“. Auch deshalb hob die EU Anfang der Woche das seit 18 Jahren bestehende Waffenembargo auf.

Betonung auf auch. Denn was gestern noch Schurkenstaat war, taugt heute bereits ganz passabel zum Sicherheitskordon für die Festung Europa. Lieber heute als morgen will beispielsweise Italien den nordafrikanischen Staat mit Radar- und Nachtsichtgeräten, mit Hubschraubern und Schnellbooten ausrüsten, auf dass er effektiver illegale Einwanderer auf ihrem Weg nach Europa stoppen kann.

Schon Partner, der Paria – wie schnell das doch manchmal geht. Dem Bundeskanzler aber stünde gut an, eine besondere Form der Langsamkeit zu entdecken. Die Blaupause dafür existiert, sie heißt: kritischer Dialog. Beschrieben ist damit jener schmale Pfad, der sich zwischen den Erfordernissen der Realpolitik und den Ansprüchen an die eigenen Wertvorstellungen schlängelt.

Denn auch das Libyen der Neuzeit ist von zivilisierten geschweige denn demokratischen Verhältnissen noch ein ganzes Stück entfernt. Es fehlt an Rechtssicherheit; Folter und willkürliche Verhaftungen sind immer noch an der Tagesordnung. Dem „Europäer“ Schröder, der sich mit Verve dafür einsetzt, die Türkei in die „Wertegemeinschaft“ EU aufzunehmen, kann es aber nicht egal sein, wie es vor Europas Haustür aussieht.

Und was ist mit dem Öl? Es gibt reichlich in Gaddafis Reich. Libyen deckt bereits heute elf Prozent der deutschen Ölimporte ab. Und Fachleute sagen, die Qualität sei ganz hervorragend.

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