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Meinung: Warum werden erfolgreiche Fußballer verehrt?

„Robert-Enke-Straße / Eine gut gemeinte Idee“ von Claus Vetter vom 11. November Langsam wird es absurd.

„Robert-Enke-Straße / Eine gut gemeinte Idee“

von Claus Vetter vom 11. November

Langsam wird es absurd. Robert Enke war sicher ein netter Mensch, und sein Schicksal ist tragisch. Aber das rechtfertigt in meinen Augen nicht das Brimborium das um diesen Mann veranstaltet wird. Durch seinen freiwilligen Tod hat er das Thema Depression überhaupt erst zum Thema gemacht. Das ist aber auch das einzig positive an der Geschichte. Schon den wochenlangen Medienhype nach seinem Suizid fand ich unerträglich und völlig überzogen, aber dass Hannover nun ein Jahr nach seinem Tod Straße nach ihm benennen will ist der Gipfel. Was hat Herr Enke denn geleistet in seinem (viel zu kurzen) Leben, das eine solche Ehrung seiner Person rechtfertigt?

Herr Enke war ein Sportler, ein erfolgreicher vielleicht, aber wird das nicht völlig überhöht? In unserer Gesellschaft neigen wir anscheinend dazu, Personen, die im Sport erfolgreich sind, zu verklären. Wir stellen sie auf einen Sockel und beten sie an – und das anscheinend nur, weil sie schneller laufen, weiter springen oder vielleicht kunstvoller mit einem Ball spielen können als wir selbst. In diese „Helden“ werden zum Teil Millionensummen investiert, sie sind oft wahre Werbeikonen.

Das verstehe wer will, ich verstehe es nicht. Ich kann nicht erkennen, dass diese Menschen mit ihren Leistungen der Gesellschaft in irgendeiner Weise wirklich weiterhelfen. In meinen Augen leistet jeder anonyme Handwerker, Lehrer oder Arzt mehr für die Allgemeinheit.

Andreas Köhler, Berlin-Wilmersdorf

Sehr geehrter Herr Köhler,

wenn Straßennamen nach den Verdiensten des Geehrten um die Gesellschaft vergeben würden, müssten viele Berliner Straßen umbenannt werden. Aber eine Straße nach einem toten Torwart zu benennen, ist schon etwas sehr Ungewöhnliches; es sagt etwas über den Sport in unserer Gesellschaft – und über den Tod in diesem Sport. Robert Enkes Name auf dem Straßenschild ehrt nicht so sehr dessen Leben und Leistung; es ist sein Tod, an den erinnert wird. Seinem Gedenken wird eine Straße gewidmet, die zu dem Stadion und dem Verein führt; mit ihnen wird sein Name in Zukunft verbunden sein. Ebenso wie die Trauerfeier im vorigen Jahr ist die Namensgebung der Straße ein Akt, der maßlos erscheint. Vernünftige Gründe wird man für beide Ereignisse nicht angeben können. Es lässt sich nur darüber nachdenken, welchen Sinn ein solches überdimensioniertes Gedenken haben kann.

Woher kommt die Verklärung von Sportlern? Sie ist eine relativ neue Entwicklung – früher bewegten sich die bekannten Spieler in derselben Lebenswelt wie ihre Zuschauer. Die „Helden von Bern“ betrieben eine Tankstelle, standen hinter dem Tresen ihres Tabakwarengeschäfts oder bildeten als Werkmeister Lehrlinge aus. Von ihrem Verein bezogen sie monatlich 275 Mark als bessere Aufwandsentschädigung; mit ihrem Aussehen repräsentierten sie die Welt der kleinen Angestellten. Nur auf den Sportseiten der Zeitungen, und nur dort, wurden sie als „große“ Menschen dargestellt.

Heute ist aus dem Fußball eine kostbare TV-Unterhaltung geworden, an der sich auch die anderen Medien nach allen Kräften beteiligen. Die Übertragungsgelder der wichtigen Fußballspiele erreichen Rekordhöhen; nicht anders die Kosten der Werbeminuten um diese Ereignisse herum. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten von Grund auf verändert: Sie hat sich den Attraktionen des Körperlichen und der spektakulären Leistungen verschrieben. Bilder von gut aussehenden Körpern sind Triebkräfte von Wirtschaft und Unterhaltung geworden, die die Werbung auf höchste Touren treibt. Eine Gesellschaft, die sich dem Geld und dem Vergnügen verschrieben hat, findet in den Sporthelden ihre höchste menschliche Ausprägung. Sie widmet ihnen einen Kult, vergleichbar mit einer Religion. Kultische Verehrung versetzt die verehrten Gestalten an ein unerreichbares Firmament und bringt sie den Bewunderern zugleich ganz nahe. Der ferne Heilige und der innerliche Vertraute, mit dem man sein Leben teilt.

Plötzlich kommt der unerklärliche Tod des Helden – ein Schock für die Verehrer. Mit einem Mal bricht die Sterblichkeit in die Verklärung ein; die mythische Welt liegt in Scherben. Die Trauer wird hysterisch: der tote Held wird unerreichbar. Schlagartig erkennen die Fans und Journalisten die Brutalität der Welt, die sie selbst errichtet haben. Sie waren gewohnt, sich für gerecht und ihren Helden für unzerstörbar zu halten. In die Trauer mischt sich Scham und wohl auch ein Schuldgefühl: Alles, was sie an dieser Welt liebten, vor allem die Härte und Unerbittlichkeit des Spiels, erscheint jetzt als schuldig am Tod ihres Helden.

Seit Enkes Tod ist die Welt des bezahlten Fußballs nicht besser geworden. Ein Straßenschild ist ein Symbol, das nichts ändert. Es bezeugt, dass die Unruhe des Gewissens anhält.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Dr. Gunter Gebauer, Philosoph und

Sportsoziologe, Institut für Philosophie

der Freien Universität Berlin

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