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Meinung: Was das Schmuckstück kostet

Rund ums Tempodrom: im neuen Berlin Politik der alten Art

Die Berliner PDS will in der Tempodrom-Affäre die Uhr auf listige Weise wieder auf die Stunde null zurückdrehen. Ausgerechnet Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl soll vor den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zitiert werden, um zu sagen, warum er 1992 das Zelt der alternativen Vergnügungsstätte nicht am neuen Kanzleramt dulden wollte. Ohne Umzug keinen Neubau und keinen Skandal, denken sich die Sozialisten. Doch so einfach ist es nicht.

Warum der spektakuläre Zeltbau mit seiner stolzen Krone am Ende doppelt so teuer geworden ist wie einst geplant, dafür ist eben nicht Helmut Kohl verantwortlich. Die Affäre ist vielmehr ein Lehrbeispiel, dass in der neuen Hauptstadt bei der politischen Führung die alten Zeiten immer noch nachwirken. Trotz Mauerfall und Milliarden-Desaster der Bankgesellschaft – das West-Berliner Biotop mit seinen Seilschaften und gegenseitigen Gefälligkeiten ist noch auffindbar. Weil Berlin immer noch eine Stadt der zwei Geschwindigkeiten ist, konnte aus dem sympathischen Projekt der Irene Moessinger, die als Visionärin überzeugender ist denn als Geschäftsfrau, ein Skandal werden. Größenwahn, Blauäugigkeit und abenteuerliche Kalkulationen haben den großen Wurf zum Desaster werden lassen.

Ihren Teil dazu haben alle Parteien beigetragen – nur die damals außerparlamentarische FDP kam nicht in Versuchung. Darüber kann sie froh sein. Das ursprünglich privat geplante Projekt ist letztlich fast gänzlich mit öffentlichen Mitteln, Krediten und Bürgschaften gebaut worden, die Kosten haben sich auf 33 Millionen Euro verdoppelt. Eine Geschichte aus Filz und Korruption nennt es der Fraktionsvorsitzende der CDU, die jetzt in der Opposition ist. Seit Baubeginn wurde deshalb dem schlechten Geld immer wieder gutes hinterhergeworfen. Weil trotzdem die Insolvenz droht, soll das teure Schmuckstück nun zu Lasten Berlins entschuldet und dann verkauft werden.

Dabei wollten die Beteiligten immer nur das Beste – zuerst die Verantwortlichen der großen Koalition der Geldausgeber aus CDU und SPD, später die Senatoren des rot-grünen Intermezzos und seit 2001 die rot-rote Stadtregierung. Der Stadtentwicklungssenator und SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder steht deshalb nicht allein. Bei der Bewilligung einer Bürgschaft der Landesbank waren auch zwei CDU-Senatoren beteiligt. Und die Grünen, wurzelnd in der Alternativbewegung des alten West-Berlin und schärfste Kritiker der Praktiken, die zum Milliarden-Desaster um die Bankgesellschaft führten, stimmten am Senatstisch später einer weiteren Millionen-Spritze für das Tempodrom zu. Sie fühlen sich nun getäuscht von der SPD-Seite. Und wegen der Umstände eines weiteren Nachschlags von der landeseigenen Investitionsbank, in deren Bewilligungsausschuss SPD und PDS sitzen, wird gegen Strieder ermittelt.

Immer weniger Berliner – denen steigende Kita-Preise, teuere Fahrpreise im Nahverkehr oder Einsparungen in den Bezirken zugemutet werden – glauben noch an eine erfolgreiche Sanierung des Landeshaushalts. Sie fragen sich, wo der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in der Affäre bleibt. Der große Inszenator des neuen Berlins, der Milliarden vom Bund einklagen will und gern ins Grundgesetz schreiben möchte, dass die Bundesländer die Hauptstadt als ihre Aufgabe zu begreifen haben – er bleibt stumm. Dabei sind die Unfragewerte der Berliner SPD noch unter jene der Bundespartei gerutscht – das muss man erst einmal schaffen. Die PDS wiederum, die mit den Sozialdemokraten zusammen angetreten ist, um die Hinterzimmer der Politik auszulüften und einen Mentalitätswechsel in der Berliner Politik versprach, steht hilflos daneben.

Wie im Berlin der zwei Geschwindigkeiten alles Ende auch einen Anfang hat, ist am neuen Kanzleramt zu besichtigen. An der Stelle, von der das Tempodrom vertrieben wurde, steht inzwischen wieder ein Veranstaltungszelt. Ohne öffentliche Gelder. Und ist höchst erfolgreich. Dort feiert regelmäßig auch der Regierende Bürgermeister.

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