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Meinung: Was der sich traut!

Warum Wolf Biermann Ehrenbürger Berlins werden muss Von Richard Schröder

Am heutigen Dienstag hat die Berliner SPD-Fraktion die letzte Chance, eine handfeste Blamage zu vermeiden, für sich und für die Stadt. Sie wird nämlich entscheiden, ob sie den Antrag der Oppositionsparteien für die Ehrenbürgerwürde Wolf Biermanns unterstützt.

Dass Biermann die Ehrenbürgerwürde verdient, steht außer Frage. Er hat seinerzeit das Lachen als Waffe gegen die SED-Diktatur entdeckt. Seine frechen und unbekümmert mutigen Lieder waren ein Heilmittel gegen die Resignation. Was der sich traut! Ich kann sie großenteils auswendig und habe noch die rauschenden Kassetten von damals, Kopien von Kopien von Kopien. Seine Wohnung in der Chausseestraße war ein Ost-West-Salon, wie es wohl keinen sonst gab. Seine Lieder waren oft auch Berliner Lieder vom Leiden an der Teilung. Und seine Ausbürgerung war der Anfang vom Ende der DDR, weil er eine ungeahnte Protestwelle in der DDR auslöste. Biermann hat sich über die Einheit gefreut.

Was kann man denn gegen die Verleihung der Ehrenbürgerwürde vorbringen? Die SPD sei vorher nicht gefragt worden. Selbst wenn das stimmen würde: Das sind die ganz kleinen Geister, die eine gute Idee an einer Formalie scheitern lassen. Die SPD könnte doch auch sagen: Schade, dass wir nicht auf die Idee gekommen sind. Dann: Rudi Dutschke habe Biermann besungen, aber die CDU sei dagegen, eine Straße nach Dutschke zu benennen. Wenn die CDU sich tatsächlich in einen Selbstwiderspruch begibt, muss die SPD sie doch daran nicht hindern. Und: Biermann habe doch gerade das Bundesverdienstkreuz bekommen, warum dann noch die Ehrenbürgerschaft? Eine merkwürdige Sorte von Verteilungsgerechtigkeit ist das. Wer schmückt sich hier eigentlich mit wem? Auch Berlin würde sich mit diesem Ehrenbürger schmücken.

Es heißt, die Linkspartei sei in der Frage gespalten. Biermann habe den Irakkrieg befürwortet, das entspreche nicht der Auffassung der Linkspartei. Einen Ehrenbürger, der alle ihre Auffassungen vertritt, wird die Linkspartei nie finden. Sie sollte aber auch noch einmal nachdenken. Wer seinen Vater in Auschwitz verloren hat, weil er jüdischer Herkunft war, denkt anders über die Bedrohung des Staates Israel durch irakische Raketen, wie sie schon einmal auf Israel abgefeuert worden sind, als die Linkspartei.

Dürftige Gegengründe belegen Unlust am Vorhaben. Als Willy Brandt sich nach dem Mauerfall über die Chance der Wiedervereinigung freute, hat die Berliner SPD widersprochen: Es gehe um Wiedersehen, nicht um Wiedervereinigung. Das war die Unlust an der Vereinigung.

Dem Verdacht, dass diese bis heute in der Berliner SPD anhält, sollte die SPD-Fraktion durch die Tat entgegentreten und über ihren Schatten springen. Es fällt keinem ein Zacken aus der Krone, wenn er sich zum Besseren korrigiert. Viele würden aufatmen, wenn das geschieht.

Der Autor ist Theologe an der Berliner Humboldt-Universität.

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