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Meinung: Was hat das Jahr gebracht ...

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... für Amerikaner

Das Gefühl, trotz des abschreckenden Waffenarsenals verletzlich zu sein. Das amerikanische Selbstbewusstsein erwies sich aber als krisenfest. Ebenso die Überzeugung, dass Verbündete nur bedingt hilfreich sind. Für die Terroristenjagd in Somalia bräuchte es kein UN-Mandat, erklärte Verteidigungsminister Rumsfeld, und ob man eine Anti-Terror-Koalition wie in Afghanistan brauche, werde man sehen. Weltweite Solidarität ist gut, zu viel Multilateralismus nicht, sagen die Amerikaner. Man möge ihnen doch jetzt nicht mit einem Internationalen Strafgerichtshof kommen, wo sie gerade gegen das Böse kämpfen, oder sie mit dem Klimaschutz und der Kontrolle von Biowaffen belästigen.

... für Europäer

Zum Thema Jahresrücklick 2001: Bewegende Bilder eines außergewöhnlichen Jahres Sie schielen nach dem 11. September mehr denn je nach dem großen Bruder Amerika - und schon gerät ihnen das Eigene aus dem Blick. Die EU spielt kaum noch eine Rolle, es waren die Nationalstaaten Deutschland und Großbritannien, die in den letzten Monaten um die Gunst Amerikas buhlten. Dabei hatte es im Juni, nach dem verheerenden Anschlag palästinensischer Extremisten auf eine Diskothek in Tel Aviv, als der deutsche Außenminister die Eskalation der Gewalt aufhalten konnte, ganz danach ausgesehen, als könnten die Europäer neben den USA zu eigenständigen Konfliktentschärfern werden.

... für alte Spontis

So viel Aufmerksamkeit war nie. Dass ein Foto, auf dem ein schmächtiger Joschka Fischer 1973 im Frankfurter Kettenhofweg auf einen Polizeibeamten einschlug, nach 28 Jahren das Potenzial zur Staatsaffäre haben würde, auf die Idee wären selbst christdemokratische PR-Strategen nicht gekommen. Hätte nicht die Tochter von Ulrike Meinhof nachgeholfen. Denn weder war das Foto neu, noch die Tatsache, dass der Edelgrüne im Taunus den Guerillakampf übte. Seit Februar wissen nun alle, mit wem Fischer vor 30 Jahren frühstückte und dass es selbst in den wilden 70ern getrennte Frauen- und Männer-WGs gab.

... für junge Protestierer

Was die alten Spontis nicht schafften, erreichten die Globalisierungsgegner beim G-8-Gipfel in Genua, ohne dass sie es beabsichtigt hätten: Sie entlarvten die hässliche Fratze des Polizeistaats. Nachdem sich das "Treffen mit der Geschichte", das Tausende Umweltschützer, Pazifisten, Gewerkschafter und Menschenrechtler veranstalten wollten, zur bürgerkriegsähnlichen Schlacht zwischen militanten Demonstranten und Polizisten entwickelt hatte, knüppelte die Polizei nachts friedlich schlafende Globalisierungsgegner nieder.

... für Tabubrecher

Die Homo-Ehe, die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg und die rot-rote Regierung in Berlin. Schon am ersten Tag der gesetzlich zugelassenen Homo-Ehe im August standen Hunderte schwuler und lesbischer Paare Schlange, um sich das Ja-Wort zu geben. Standesämtern wird die Arbeit trotz steigender Scheidungsraten nicht ausgehen. Am folgenreichsten dürfte die rot-rote Hochzeit im Berliner Rathaus sein. Das Tabu, dass die Tiefroten in Berlin regieren dürfen, ist gebrochen. Wozu, das weiß noch keiner so recht. Noch mehr als an Geld scheint es den Partnern an Visionen zu mangeln. Auch die rot-grüne Koalition hat dieses Jahr viel Energie für Tabubrüche aufgewendet. So viel, dass für Konzepte kaum etwas übrig blieb.

... für Wertkonservative

Noch nie waren sich Grüne und Kirchen so nah wie in Fragen der Stammzellenforschung, Präimplatationsdiagnostik und Kriegseinsatz. Ein Jahr der Wertehüter war 2001, trotz 11. September, dennoch nicht. Medienlieblinge sind Wertkonservative nur selten. Berstende Ehen, uneheliche Kinder oder der Abwurf einer Kuh ist nach wie vor das, was die Medienwelt im Innersten zusammenhält.

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