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Meinung: Was sie zu tun gedenken

Von Stephan-Andreas Casdorff

Die Schande der Vergangenheit muss man fühlen. Die Scham. Was darüber hinaus in die Zukunft führt, gehört wohlbedacht. Die KZs wurden vor 60 Jahren befreit, und wir Deutsche können dankbar sein, dass uns Europa im Gedenken zur Seite steht. Jorge Semprun, der selbst Häftling in Buchenwald war, hat es politisch gefasst, Richard von Weizsäcker noch weiter, und in der Tat liegt in der Öffnung der Europäischen Union nach Osten diese Chance: dass wir Europäer unsere Erinnerungen miteinander teilen und sie vereinigen. Dieses Internationale gegen alles zwischen den Nationen Stehende – das wird umso wichtiger, als es im Weiteren um nichts weniger als das Gelingen der EUOsterweiterung geht.

Bloße Selbstbeschau, vor der Weizsäcker warnt, führt nicht weiter. Bald 20 Jahre nach seiner Rede zum Kriegsende, dem Tag im Mai, an dem die Freiheit zu denken zurückkehrte; nach der Rede, die Deutschland hüben verändert und drüben beeindruckt hat, sind im Sinne Europas alle Hinweise Sempruns des Nachdenkens wert. Zum Beispiel auch der auf die stalinistischen Internierungslager. Die Erinnerung daran darf nichts überdecken, weil nichts den Eindruck einer Gleichheit im Unrecht erwecken darf. Aber nötig ist sie. Der Wahrheit geschuldet.

So wenig es eine Kollektivschuld geben mag, ein Gefühl der Scham darf es geben. Und ein Gefühl dafür, dass sich Umkehr, besser: Aufbruch aus der Schuld an Taten sehen lässt. Gericht ist gehalten, aber die Vergangenheit ruht nicht. Bearbeitet werden muss sie, in jedem Fall. Das hat Zentralratspräsident Paul Spiegel zu Recht deutlich gemacht. Versöhnung kann es ohnedies nur geben, wenn Opfer und Täter übereinkommen und das Opfer dem Täter verzeiht. Sühneleistungen können auch ein spätes, ein jetzt sichtbares Aufeinander-Zugehen und ein Überwinden der Gegensätze sein. Nach dieser Logik dann ist unbeirrte Arbeit für eine friedliche Vollendung der Einheit Europas der eigentliche, der wichtigste in die Zukunft weisende Akt des Gedenkens: eingedenk unserer Vergangenheit. Für die nächste Generation.

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