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Meinung: Was stört Sie an Europa, Mr. Mandelson? Wie Tony Blairs Vordenker über deutsche Gewerkschaften, französische Geheimpolitik und eine gemeinsame europäische Verteidigung denkt

Haben Sie noch Kontakt zu Bodo Hombach? Sie galten als die beiden strategischen Vordenker der ersten Wahlsiege von Tony Blairs New Labour und Gerhard Schröders Neuer Mitte.

Haben Sie noch Kontakt zu Bodo Hombach? Sie galten als die beiden strategischen Vordenker der ersten Wahlsiege von Tony Blairs New Labour und Gerhard Schröders Neuer Mitte.

Leider nicht. Er ist jetzt ein viel beschäftigter Zeitungsmanager und nicht mehr in Berlin.

Aber Sie sind oft in Berlin. Warum?

Schröder und Blair wollen die Sozialdemokratie modernisieren, haben ähnliche Probleme zu lösen, lernen voneinander. Es gibt aber keine Blaupause, die auf alle Länder passt.

Zum Dritten Weg gehörte es, dass New Labour und die SPD eng kooperieren. Beunruhigt es den Europäer Mandelson, dass Großbritannien jetzt in engerer Allianz mit Amerika steht als mit den europäischen Partnern?

Es wäre ein großer Fehler, wenn Europa sich gegen Amerika stellt. Beim Projekt „modernes Regieren“ ist nicht entscheidend, dass wir den gleichen Weg gehen, sondern dass wir überhaupt den Reformweg einschlagen – im Geiste der gleichen Überzeugungen: wirtschaftliche Chancen für alle, soziale Gerechtigkeit, Fairness, Freiheit. Das sind alte Werte, aber auch in Zeiten der Krise und des Globalisierungsdrucks verfolgt eine moderne Linke keine Laissezfaire-Politik, sondern kümmert sich aktiv um die Verunsicherten. Sie beharrt nicht auf dem Status quo. Sie schaut nach vorne und erkennt an, dass privates Unternehmertum und der Markt die Quellen des Wohlstands sind.

Hängt Großbritanniens Weg nach Europa, hängt die weitere Integration von einer solchen übereinstimmenden Sicht ab?

Ja. Die Menschen werden mehr Europa nur akzeptieren, wenn sie das Gefühl haben, dass die EU ihnen hilft, die neuen Herausforderungen zu bestehen. Europa ist kein Selbstzweck. Es muss seine Existenz legitimieren, indem es die drängenden Probleme löst.

Ist der britische Weg da besser als der deutsche?

Alle EU-Regierungen haben sich beim Lissaboner Gipfel auf eine Fehleranalyse geeinigt. Falsch sind hohe Subventionen und Staatsbeihilfen, eine Überregulierung des Arbeitsmarkts und Maßnahmen, die den industriellen Wandel behindern. Alle sagten: Die Wirtschaft muss liberaler und flexibler reagieren können. Es geht darum, den Sozialstaat zu modernisieren, nicht darum, ihm das Herz herauszureißen. Und größere Dynamik mit sozialer Sicherheit zu vereinbaren. Dafür gibt es kein Patentrezept. Aber die Richtung muss überall in Europa die gleiche sein.

Kanzler Schröder trifft dabei auf den Widerstand der Gewerkschaften.

Der Kanzler versucht, Steuern und Sozialabgaben zu senken, damit Arbeitslose wieder eine Chance auf einen Job haben. Viele alte Regeln sind ein Hindernis, sie bieten keinen Anreiz, Arbeit zu suchen. Das sind harte Entscheidungen, weil viele Menschen nicht die Chancen erkennen, sondern fürchten, dass ihnen Schutz weggenommen wird. Aber in Großbritannien haben wir die Arbeitslosenrate auf diese Weise dramatisch reduziert, in meinem Wahlkreis Hartlepool, einer armen Arbeiterregion, die Jugendarbeitslosigkeit halbiert und die Langzeitarbeitslosigkeit um zwei Drittel gesenkt. Auch in Deutschland kann radikale Politik eine Revolution auslösen. Davon profitieren die Schwächsten am meisten. Und die vertritt doch die Linke.

New Labour konnte erst reformieren, nachdem Frau Thatcher die Macht der Gewerkschaften gebrochen hatte.

Dem Kanzler wird das niemand abnehmen. Er ist am Ruder. Gewerkschaftsinteressen und Arbeitnehmerinteressen sind zweierlei. Bei allen Unterschieden tun auch die deutschen Gewerkschaften gut daran, radikale Reformen zu unterstützen. Gelingt es nicht jetzt im Konsens unter relativ geringen Schmerzen, wird die Krise größer, und dann muss man schärfer eingreifen. Das klingt hart, aber das britische Beispiel zeigt: Hätten die Gewerkschaften vernünftige Reformen mitgemacht und nicht den Labour-Premier Wilson gestürzt, wäre ihnen Frau Thatchers Extremismus erspart geblieben. Diese Lektion gilt auch für Deutschland.

Nach den Anfangserfolgen von New Labour war es populär, von Großbritannien zu lernen. Aber gilt das heute noch? Der Irak-Krieg spaltet Europa, hat Deutschland und Frankreich wieder enger zusammengeführt, und Blair steht ziemlich isoliert da.

Wer ist hier isoliert? Großbritannien in der EU bestimmt nicht. Mich schmerzt es, dass Deutschland und Frankreich keine gemeinsame Position mit uns finden konnten. Aber wir können ein gemeinsames Projekt Europa verfolgen. Das verlangen die Europäer von uns. Sie wollen nicht, dass die Führungsnationen arrogant entscheiden und ihre Politik den anderen aufzwingen. Sie erwarten Führungskraft für ein gemeinsames Ziel. Wir Briten wollen gerade nicht, dass Deutschland sich aus seiner Führungsrolle in Europa zurückzieht. Wir wünschen, dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt, nicht weniger: in Wirtschaft, Sozialpolitik, Außen- und Verteidigungspolitik, bei der Stärkung der europäischen Institutionen. Wenn „deutscher Weg“ heißt, dass Deutschland mehr Führungskraft zeigt, dann bin ich für den deutschen Weg.

Das klingt mehr nach Hoffnung als nach Lagebeschreibung. Hat der Irak-Streit nicht viele Gemeinsamkeiten zerstört?

Nein. Die deutsch-britische Kooperation würde zerstört, wenn Deutschland geheime Absprachen mit Frankreich hinter unserem Rücken und dem der anderen Europäer trifft und versucht, diese Politik allen aufzuzwingen.

Ist das kürzlich passiert?

Es könnte das Ergebnis sein, wenn Deutschland und Frankreich solche Ansätze verfolgen. Ich glaube an die deutsch-französische Kooperation, ohne sie wäre Europa nicht so weit gekommen. Aber deutsch-französische Absprachen mit dem Ziel, ganz Europa festzulegen, würde das gesamte Beziehungsnetz in der EU gefährden.

War die Solidaritätserklärung der Acht mit Amerika eine Reaktion auf so einen Versuch?

Es war eine starke Antwort. Und wir könnten solche Reaktionen wieder erleben. Die Partner respektieren die historische Rolle Deutschlands und Frankreichs. Aber sie wollen nicht, dass ihre Meinung als zweitrangig angesehen wird. In diesem speziellen Fall wünschten wir und andere, dass Europa weiter mit Amerika zusammenarbeitet. Was Berlin und Paris getan haben, schadet der angestrebten europäischen Einigkeit. Ich hoffe, dass wir das reparieren können.

War nicht auch Tony Blair die Allianz mit Bush wichtiger als die mit den Europäern?

Ich weiß, dass dieser Eindruck erweckt wurde: Tony Blair wende sich Amerika zu und damit ab von Europa. Das ist aber falsch. Wir sehen unsere Zukunft in Europa, nur nicht auf Kosten der Beziehung zu Amerika. Wir wollen Europa stärken, aber nicht durch Zentralismus, sondern auf demokratische Weise, sonst verlieren wir an Glaubwürdigkeit bei den Bürgern.

Nehmen wir ein praktisches Beispiel: Wird Großbritannien im Verfassungskonvent qualifizierten Mehrheitsentscheidungen über die gemeinsame Außenpolitik nach den Irak-Erfahrungen zustimmen?

Ich glaube: ja. Aber das ist nicht die entscheidende Frage. Sondern, ist das Amt des Hohen Vertreters für die gemeinsame Außenpolitik, das Javier Solana ausübt, überhaupt ausgestattet für diese Aufgabe? Dafür müsste er doch eine Analyseabteilung haben: Wie groß sind die Gefahren durch Massenvernichtungswaffen und Terrorismus? Wie sollen wir ohne einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu einer gemeinsamen Politik finden?

War es nicht eher so, dass alle die gleichen Informationen hatten, aber die Gefahr unterschiedlich bewerteten?

Das Problem war, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien es vermieden, die Irak-Frage zu diskutieren, bevor sie ihre nationale Position festgelegt hatten. Danach war es zu spät für eine gemeinsame Haltung. Ich verstehe, unter welchem Druck Kanzler Schröder im Wahlkampf stand, hätte mir aber gewünscht, dass er sich zumindest einen Ausweg offen gehalten hätte: gewaltsame Abrüstung als letztes Mittel. Dazu war er erst in der gemeinsamen EU-Erklärung vom Februar bereit. Später hat er sich davon wieder distanziert, bis heute, wie mir scheint. Rechtzeitige gemeinsame Analyse muss Priorität für den künftigen EU-Außenminister haben, wer immer das ist.

Haben Sie Interesse? Der britische EU-Kommissar Patten scheidet bald aus dem Amt.

Ich bin glücklich als britischer Abgeordneter. Von Kanzler Schröder hätte ich mir gewünscht, dass er die Informationen öffentlich macht, damit die Menschen verstehen, wie gefährlich die neue Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und Terrorismus ist. Im Ausland gewinnt Deutschland das Image einer zunehmend pazifistischen Nation, die vor den internationalen Herausforderungen flieht, statt ihnen gemeinsam mit anderen zu begegnen: in der Regel nicht mit Gewalt; wenn nötig aber auch das als letztes Mittel. Wir wünschen uns, dass Deutschland dazu beiträgt, Europa handlungsfähiger zu machen und den Abstand zu Amerika zu verringern.

Was soll der Kanzler also tun: den Wehretat erhöhen?

Deutschland beteiligt sich bereits stark an den Friedenstruppen auf dem Balkan und in Afghanistan. Ich hoffe, demnächst auch im Irak, sofern die Bedingungen stimmen: ein UN-Mandat, nicht amerikanischer Unilateralismus. Und wir brauchen eine verstärkte Verteidigungskooperation in Europa. Nicht neben der Nato, nicht gegen Amerika. Und nicht ohne Großbritannien. Das wäre eine Illusion. Deshalb sollte sich das Treffen Ende April auch nicht auf vier EU-Staaten beschränken. Alle 15 müssen kommen. Kanzler Schröder darf nicht zulassen, dass der französische Präsident seine persönliche Agenda daraus macht und den Graben zu Amerika vertieft. Das liegt nicht im deutschen Interesse.

Ließe sich denn Amerika so vom Unilateralismus abhalten?

Tony Blair hat das gezeigt. Er hat Bush dazu gebracht, den Fall Irak in die UN zu tragen, die Resolution 1441 zu akzeptieren – und, wenn Saddam Hussein die Forderungen erfüllt hätte, keinen Krieg zu führen. Jetzt drängt Tony Blair Bush, sich dem Nahost-Frieden zu widmen. Das alles hat er allein erreicht, durch einfühlsame Diplomatie. Stellen Sie sich mal vor, welchen Einfluss Europa in Amerika hätte, wenn Frankreich, Deutschland und Großbritannien sich zusammentäten. Doch da ist die Sorge, dass Frankreichs Modell von Multipolarität auf Rivalität mit Amerika statt auf Partnerschaft zielt. Damit werden wir nichts erreichen. Wir müssen zeigen, dass Multilateralismus funktioniert – zum Beispiel im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen.

Sind die USA nicht in wenigen Jahren sowieso die uneingeschränkte Weltmacht?

Nur, wenn wir versagen. Wenn Europa sich spaltet, stärkt das die Isolationisten in Amerika.

Wie verändert der Irak-Krieg die Weltordnung: in Europa, Amerika, Asien, im Mittleren und Nahen Osten?

Saddam Hussein war ein riesiges Hindernis für politischen und ökonomischen Fortschritt in der Region. Aber wenn wir den Palästina-Konflikt nicht in den nächsten drei bis fünf Jahren lösen, wird er den ganzen Nahen Osten weiter vergiften – mit Folgen weit über die Region hinaus. In Amerika schwächt die Irak-Erfahrung die Unilateralisten. Sie lernen, dass die Welt komplizierter ist, als sie glauben, und man ihre Denkweisen nicht auf andere Regionen anwenden kann. Und dass sie ohne die Hilfe anderer Staaten nicht weit kommen.

Und in Europa: Führt Großbritanniens Weg zum Euro über Bagdad?

Der Beitritt zum Euro liegt im britischen Interesse. Wir erfüllen die Konvergenzkriterien besser als viele, die schon dabei sind. Wenn wir noch länger warten, dann aus politischen Bedenken.

Was schreckt die Briten ab an Europa?

Der Irak-Streit in Europa macht vielen Briten Angst. Dass viele Franzosen dem Schlächter Saddam den Sieg wünschen und nicht den westlichen Verbündeten, empört sie. Viele empfinden EU-Europa als politisches Risiko. Wir müssen den Briten klarmachen, wie teuer sie der Nicht-Beitritt zum Euro kommt – weil sie auf Wachstum verzichten. Das verlangt Führungskraft von Tony Blair: die Briten zu überzeugen, dass die ökonomischen Chancen größer sind als das politische Risiko. Deutschland kann dabei helfen, indem es klarstellt, dass es Frankreich niemals in eine antiamerikanische Haltung folgt.

Das Gespräch führten Christoph von Marschall und Matthias Thibaut.

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