zum Hauptinhalt

Meinung: Was tun gegen Terror: Demokratie als Waffe

Seit dem 7. Oktober wird Afghanistan von den USA und den Briten bombardiert, und seit dem 17.

Seit dem 7. Oktober wird Afghanistan von den USA und den Briten bombardiert, und seit dem 17. Oktober wird mit luftgestützten Bodentruppen im Land operiert. Die Nato-Partner wie Deutschland bereiten den Einsatz von Truppen vor - ein Einsatz der von führenden europäischen Politikern noch vor kurzem kategorisch abgelehnt wurde und die Koalition aus SPD und Grünen im Bund massiv gefährdet.

Die Militärschläge werden damit begründet, dass Osama bin Laden festgesetzt und Afghanistan von den Taliban befreit werden soll. Zunächst hieß es, man wolle die Lufthoheit erringen, um die eigenen Truppen nicht zu gefährden. Kollateralschäden wurden von Anfang an in Kauf genommen. Luftgestützte Truppen sollten dann gezielt in Afghanistan eingesetzt werden, um bin Laden zu ergreifen.

Dieses Vorhaben sieht nach Aktivismus aus und treibt jedem Schweißperlen auf die Stirn, der sich ein bisschen mit afghanischer Geographie auskennt: Ein Land von 650 000 Quadratkilometern, das im wesentlichen aus Wüsten und Bergen besteht, die bis zu 7500 Meter hoch sind. Ein Land, das so gut wie keine Infrastruktur mehr besitzt.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Gegenschlag - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Geschickt wurden die Bombenabwürfe als humanitäre Aktion getarnt, indem Bomber Erdnussbutter, Apfeltaschen, Transistorradios und nicht zu vergessen: eine Anleitung in englisch, französisch und spanisch abwarfen, um die Afghanen vor dem drohenden Hungertod zu retten. Rund 90 Prozent der Afghanen sind aber Analphabeten. Statt des Alphabets haben sie das Kriegshandwerk gelernt und sich ruhmreiche Geschichten von ihrem Volk erzählt, darunter jene, die davon handelt, wie sie die Briten in die Flucht geschlagen haben. Aber die Briten kommen jetzt mit ihrem großen amerikanischen Bruder zurück, der doch den Afghanen immer wohlgesonnen war, ihnen erst Entwicklungshilfe brachte, dann im Kalten Krieg die Islamisten, und, als das alles noch nichts half, die Taliban unterstützte. Diese sollten als Ordnungsmacht die Durchführung des Pipelinegeschäftes aus Turkmenistan via Afghanistan nach Pakistan garantieren. Unocal, die amerikanisch-saudische Energiefirma, unterstützte denn auch mit harten Dollars die Stabilisierung der Taliban. Diese nahmen ihre Aufgabe ernst und verwandelten mit tatkräftiger Hilfe Pakistans Afghanistan in einen Friedhof. Vor allem die Frauen und Kinder in den großen Städten glichen danach eher Zombies als lebenden Geschöpfen.

Ein ganzes Volk als Geisel

90 Prozent der Bevölkerung hassen die Talibanmilizen, die aus arabischen und anderen islamistischen Freiwilligen bestehen, aus zwangsrekrutierten Afghanen oder Afghanen, die sich dort mangels anderer Alternativen als Söldner verdingen. Nun setzt man auf das militärische Anti-Taliban-Bündnis, auf die Nordallianz, die aus Warlords, Islamisten und Milizionären besteht, die vor allem für ihre Zerstrittenheit bekannt sind. Sie soll als "Bodentruppe" der Alliierten fungieren und die geschwächten Taliban besiegen.

Die Folge ist eine Massenflucht der Zivilbevölkerung. Der Angriff richtet sich gegen die Taliban und ihren Schützling, die Opfer sind jedoch Zivilisten, egal ob sie unmittelbar durch die Bombardierung betroffen sind oder indirekt, weil sie flüchten müssen. Das aber darf nicht sein. Der latente Antiamerikanismus, gespeist aus der jüngeren Geschichte, die Bombardierungen und jetzt auch noch der Bodeneinsatz fremder Truppen erinnern an die Ereignisse von 1979, als die Sowjetunion einmarschierte. In einem Land, in dem es kaum mehr funktionierende Kommunikationsstrukturen gibt, leben Erinnerungen schnell auf. Die Briten und die USA als Schutzpatron der Nordallianz und des Königs?

Eine weitere Parallele zur Politik der Sowjetunion ist die Tatsache, dass die Regierungen der Allianz Szenarien für die Post-Taliban-Zeit entwerfen, ohne mit den legitimen Vertretern der afghanischen Bevölkerung zu sprechen. Zyniker der Afghanistanszene meinen durchaus zu Recht, dass für eine Allparteien-Regierung nicht ein "mehr" an Personen notwendig ist, sondern ein "mehr" an Toleranz. Es wird aber wie in der Vergangenheit nicht mit den Afghanen, sondern über Afghanen mit selbst ernannten Vertretern im Exil geredet. Diese Politik ist in den letzen Jahren gründlich fehlgeschlagen. Anstatt den gleichen Fehler noch einmal zu begehen, sollte die Allianz den Dialog mit den Menschen und Gruppen im Land suchen, die das Überleben dort in den letzten Jahren möglich gemacht haben. Denn der Westen muss bei seiner Vergeltungsaktion beachten, wer in Afghanistan sozial verankert ist und wer sich in der Vergangenheit zum Handlanger der verschiedenen Ideologien und Regionalmächte gemacht hat. Der König und islamistische Gruppen hatten ihre Chance und haben sie nicht genutzt.

Jetzt fordert der König ein UN-Mandat für Afghanistan, um überhaupt an die Macht zu kommen. Staaten wie die Türkei, die den Usbeken Dostum, der durch besondere Brutalität in der Vergangenheit aufgefallen war, schon seit Jahren unterstützen, sollen das Hauptkontingent stellen. Noch ein regionaler "global player", der großtürkische Fantasien mit ins Spiel bringt? Die Nordallianz hat dem Ansinnen des Königs schon einen Riegel vorgeschoben, indem sie auf Burhanuddin Rabbani als Präsidenten besteht. Das politische Geplänkel im Vorfeld lässt erahnen, was uns bei dieser Konstellation erwartet: die Fortsetzung des Krieges.

Aber vielleicht gibt der Westen denen eine Chance, die auf lokaler und regionaler Ebene die Werte der Zivilisation in Afghanistan hochgehalten haben und das oftmals unter Einsatz ihres Lebens. Von ihnen sind keine Plünderungen oder Vergewaltigungsorgien bekannt. Sie stehen bereit, um Afghanistans Gesicht zu verändern. Nicht durch Krieg, sondern durch Alternativen zum Krieg wollen sie den Menschen eine Zukunft geben. So kämpft zum Beispiel die "ettehad-e melli mobarazan-e azadihwa afghanistan" (Einheit der freiheitsliebenden Kämpfer Afghanistans) für Freiheit und Unabhängigkeit. Diese Gruppe besteht aus verschiedenen Ethnien, sozialen, religiösen und politischen Gruppierungen und hat in vielen Ratsversammlungen von einflussreichen Stammesältesten, Kommandanten, religiösen Führern und Intellektuellen im Westen, Süden und Osten Afghanistans die breite Zustimmung erhalten, um diese Gebiete von den Taliban loszusagen.

Was sie brauchen, sind Lebensmittel und politische Unterstützung. Sie sind bereit, mit den internationalen Organisationen für ein stabiles demokratisches und säkulares Afghanistan zusammenzuarbeiten und den Versöhnungsprozess voranzubringen. Bei ihnen finden sich alle Ethnien, Religionen und Sprachen Afghanistans wieder, sie eint der Wille nach Frieden und Unabhängigkeit. Aber mit leeren Händen ist es auch für diese Gruppe schwierig, gegen die immer noch von Pakistan unterstützten Taliban vorzugehen. Der Westen muss deshalb dem fraglichen Treiben der Militärs eine politische Antwort geben.

Wichtig ist jetzt ein umfassendes Waffenembargo und Schutzzonen für die Versorgung der Flüchtlinge. Dazu sind keine Bodentruppen notwendig, sondern Mehlsäcke. Selbst die umstrittenen, von den USA abgeworfenen Hilfspakete könnte man bei besserer Koordination sinnvoll nutzen.

Vor dem Einsatz fremder Truppen in Afghanistan warnt die "ettehad-e melli mobarazan-e azadihwa afghanistan", da sie fürchtet, dass das zu einer Solidarisierung der Zivilbevölkerung mit den Taliban führt. Unterlässt man aber den Einsatz von Bodentruppen und fördert demokratische Gruppierungen, könnte man auch die Talibankämpfer ansprechen, die in der Auseinandersetzung mit der Nordallianz lieber als Märtyrer sterben, als sich zu ergeben.

Im Terrorismus äußert sich der verhängnisvoll sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen und der Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen. Die Menschen in Afghanistan, die durch die Erfahrungen von 23 Jahren Krieg und Dürre viele Brüche erlebt haben, glauben an keine Ideologien mehr - egal, ob sie Kommunismus heißen oder islamistische Varianten sind. Sie wünschen sich Frieden, und die Demokratie erscheint ihnen ein taugliches Medium dazu.

Deutschland hat im Rahmen der EU und auch der UN die Möglichkeit, diesen Prozess moderierend zu begleiten, da kein Afghane den Deutschen Eigeninteressen in Afghanistan unterstellt. Auf die Politik bezogen heißt das: solidarisch mit den USA zu sein, die Maßnahmen kritisch zu hinterfragen und zu versuchen - in Absprache mit den Alliierten - Koalitionsmöglichkeiten zu finden, die anderen verborgen bleiben. Der humanitäre Einsatz zugunsten dieser Kräfte ist allemal kostengünstiger als jedes Engagement der Bundeswehr und verspricht vor allem mehr Erfolg. Westliche Zivilisation bedeutet mehr als die Anwendung hochintelligenter Waffen. Eine Demokratie in Afghanistan zu ermöglichen, wäre der größte Schlag für die islamischen Terroristen und eine dem Westen angemessene Antwort.

Michael Pohly

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false