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Meinung: Was wirklich ist

Die CDU nach den Wahlen: Sie braucht Identität im Reden und Handeln

Das typisch Pharisäerhafte ist das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit. In der Politik gibt es das oft, und es fällt bei Wahlen auf. Dieses Mal besonders – und zwar bei der CDU. Das „C“ in ihrem Namen ist für etliche Wähler, da darf sie sich nichts vormachen, offenkundig eine Provokation geworden. Im Bundesvorstand ist das schon länger ein Thema, wenn auch nicht offen ausgesprochen.

Ihre Politik vor den Entscheidungen in Sachsen und Brandenburg war geeignet, ein Vorurteil zu beleben, dass sie nicht entlang ihrer christlichen Werte handle. Auf den Wahlkampf angewandt heißt das: Wer den Sozialstaat umbauen will, muss klar machen können, dass er ihn dabei nicht abschafft. Wer Gottes Natur schonen will, muss gut erklären können, warum er für Atomkraft eintritt. Wer die Türkei nicht in der EU will, muss dafür Sorge tragen, dass niemand das als billiges, Ressentiments schürendes Wahlkampfmanöver versteht. Alles das ist nicht geschehen. Der Absturz aus den lichten Höhen in Umfragen folgte jetzt.

Und so ist logisch, dass bei den Christsozialen, aber auch bei den Christdemokraten Unmut wächst. Beklagt wird ein Mangel an eindeutiger Führung und fundierter und damit glaubhafter Alternative zur Koalition, die im Bund regiert. Nicht von ungefähr kommt, dass zu den Kritikern an der CDU, namentlich an der Vorsitzenden Angela Merkel, der Chef der CSU-Grundsatzkommission Alois Glück zählt. Er befürchtet, dass der Eindruck, die SPD könne es nicht und eine unionsgeführte Regierung könnte es auch nicht, doch noch einem deutschen Haider zum Aufstieg verhelfen wird. Kurz: Glück fürchtet einen Kampf auf dem Feld der Demagogie, in dem dann alle, nicht nur die Union, verlieren würden. Hier hat er mindestens in seiner Partei, der CSU, eine Mehrheit hinter sich.

An den Ergebnissen und Reaktionen ist abzulesen, dass die Menschen verunsichert sind über die Kompetenz von CDU und CSU. Abrupte Kurswechsel tragen zum Bild bei, dass die Union inhaltlich schlingere. Waren auf dem jüngsten Parteitag noch das Merz’sche Steuermodell und die Merkel’sche Gesundheitsprämie, vulgo: Kopfpauschale, die Ziele der CDU, ist heute nicht mehr klar, wofür die Union wirbt.

Zwei Erkenntnisse haben sich durchgesetzt: Zum einen, dass die CDU in den anstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein einen Wahlkampf mit weiter reichenden Reformmaßnahmen, als sie von Rot-Grün eingeleitet worden sind, nicht gewinnen kann. Wer Hartz V wollte, hätte gar keine Chance mehr. Hartz IV ist ja schon schwierig genug für alle, die das im Bundesparlament abgesegnet haben. Hinzu kommt, dass die CDU weitere Verluste nur abwenden kann, wenn sie ein ganzheitliches Konzept vorlegt. Steuern senken und Gesundheitskosten aus Steuern bezahlen zu wollen, das passt nicht zusammen – und wird auch vom Wähler als dissonant erkannt.

In Sachsen und in Brandenburg hat die CDU ein Drittel ihrer Anhänger verloren, neben der Tatsache, dass insgesamt ein Drittel nicht zur Wahl ging. Das muss besonders alarmierend für die CDU sein, die Ostdeutschland als Kerngebiet zurückgewinnen wollte, „Partei der Einheit“, die sie ist. Die Überlegung, gewissermaßen eine neue Allianz für Deutschland zu bilden, damit eine Ostdeutsche erste Bundeskanzlerin werden kann, ist empfindlich gestört. Die Selbstgewissheit, mit der die CDU antrat, passt nicht zur zurückgenommenen (Selbst-) Wahrnehmung der christdemokratischen Politiker, die im Osten Verantwortung tragen: Wolfgang Böhmer zum Beispiel, Regierungschef in Magdeburg, sagt offen und bescheiden, in Fragen der Reform des Gesundheitswesens seien sie auch nur „Suchende“.

Worauf die Union sich in den kommenden Wochen, mindestens aber zum Jahreswechsel, einigen muss, ist die inhaltliche Verschränkung von Sozial-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Das jetzt angesprochen zu haben, ist ein Verdienst des niedersächsischen CDU-Landeschefs und Merkel-Vizes Christian Wulff. Aber es ist eben auch eine grundsätzliche Kritik an der Parteichefin; denn damit beschreibt er ihre Aufgabe und zugleich ihr Versäumnis als Schattenkanzlerin. Das bedeutet im Klartext zwei Forderungen: Merkel muss Reden und Handeln aufeinander abstimmen, und sie muss dabei Loyalität von oben nach unten beweisen, die notwendig ist, weil sonst keiner in seinem Amt gestützt wird.

Ihre Chance liegt darin, dass die Konkurrentin SPD beginnt, jetzt schon die kleinsten Erfolge groß zu feiern. Die Bürger aber stellen andere Ansprüche. Merkel kann dieser Wirklichkeit begegnen.

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