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Was WISSEN schafft: Auf Null zurückgestellt

Deutschland bekommt eine zweite Chance für die Stammzellforschung

Der Trick klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman: Man entnimmt einfach Zellen aus der Haut eines Kranken und programmiert sie zu Stammzellen um – die belastende Entnahme von Eizellen, die ethisch bedenkliche Zerstörung von Embryonen und das technisch ungelöste therapeutische Klonen sind plötzlich überflüssig. Weil sich aus den so gewonnenen „pluripotenten“ Alleskönnern im Prinzip jedes erdenkliche Ersatzgewebe züchten lässt, könnten Menscheitsgeißeln wie Parkinson, Diabetes und Alzheimer schon bald besiegt sein.

Nach der Erfolgsmeldung der Wissenschaftler der Universitäten von Kyoto und Wisconsin am vergangenen Dienstag ließ die Analyse konservativer Politiker nicht auf sich warten: Die umstrittene Forschung mit embryonalen Stammzellen sei nun endgültig überflüssig. George W. Bush ließ sogar verkünden, sein Verbot der Bundesfinanzierung embryonaler Stammzellforschung habe den Erfolg befördert, weil es die Wissenschaftler zur Suche nach Alternativen zwang.

Die Selbstbeweihräucherung des US-Präsidenten ist jedoch blanker Unsinn. Nicht nur die Industrie, sondern auch zahlreiche Bundesstaaten der USA geben Milliarden für die embryonale Stammzellforschung aus, die fehlenden Bundesmittel fallen deshalb kaum ins Gewicht. Die neue Methode wurde an der Universität von Wisconsin miterfunden, die über eines der weltweit größten Budgets für die embryonale Stammzellforschung verfügt. Leiter der Arbeitsgruppe ist kein geringerer als James Thomson, der 1998 die erste humane embryonale Stammzelllinie herstellte und selbstverständlich parallel an beiden Verfahren forscht. Die jetzt gelungene „Reprogrammierung“ von Hautzellen zu pluripotenten Stammzellen imitiert im Labor ein biologisches Wunder, das am Beginn jedes menschlichen Lebens geschieht: In der befruchteten Eizelle wird das Erbmaterial der Eltern auf den embryonalen Urzustand zurückgesetzt. Weil jede Zelle den gesamten Bauplan des Körpers enthält, kann im Labor auch die Lebensuhr einer Hautzelle auf Null zurückgestellt werden – sie beginnt sich zu teilen und bildet unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren Nerven, Muskeln und alle anderen Gewebe. Dasselbe geschieht auch beim therapeutischen Klonen, bei dem eine erwachsene Körperzelle durch Injektion in eine befruchtete Eizelle auf den Embryonalzustand reprogrammiert wird.

Den japanischen und amerikanischen Forscherteams ist es nun gelungen, die in der Eizelle stattfindende Reprogrammierung in der Petrischale zu imitieren. Allerdings ist das Verfahren vergleichsweise unsanft: Vier verschiedene, die Genregulation kontrollierende Faktoren werden durch Infektion mit einem krebsauslösenden Virus in die Hautzelle eingeschleust. Das Erbmaterial des Virus klinkt sich dabei wahllos in die Chromosomen der Hautzelle ein und zerstört zahlreiche Gene. Warum bei dieser drastischen Prozedur eine von 5000 Hautzellen plötzlich embryonale Eigenschaften annimmt und zur „induzierten pluripotenten Zelle“ (iPC) wird, ist nicht geklärt. Möglicherweise ist sogar die teilweise Zerstörung des Erbmaterials mitverantwortlich für den wundersamen Effekt – Ähnliches findet auch in Krebszellen statt, die sich wie embryonale Zellen ungehemmt teilen.

Die neue Methode macht die Forschung an embryonalen Stammzellen keineswegs überflüssig: Sie sind für die Weiterentwicklung der noch primitiven, künstlichen iPCs das natürliche Vorbild. Allerdings stehen für diesen Zweck bereits etablierte, moderne embryonale Stammzelllinien (ES-Linien) zur Verfügung. Die Herstellung neuer ES-Linien für therapeutische Zwecke ist nicht mehr nötig, weil künftige Therapien wahrscheinlich auf iPCs basieren werden.

Für die deutsche Stammzellforschung ergibt sich dadurch eine zweite Chance: Bei den iPCs stehen alle noch am Anfang, selbst die beiden erfolgreichen Arbeitsgruppen haben nur rudimentäre Prototypen im Labor. Zu deren Weiterentwicklung werden ES-Linien nur als Referenz benötigt - wer ganz vorne mitmachen will, muss jetzt keine Embryos mehr opfern. Voraussetzung ist allerdings, dass auch deutsche Forscher die seit 2002 hergestellten, neuen ES-Linien verwenden dürfen. Dazu muss der Bundestag den Stichtag des Embryonenschutzgesetztes aktualisieren – die Aussicht auf lebensrettende Therapien ohne Verbrauch von Embryos sollte dies wert sein.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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