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Was WISSEN schafft: Den Sensenmann überlisten

Feldzug gegen den Tod: Ein kürzlich entdeckter Genschalter in der Zelle ist offenbar in der Lage, das Leben zu verlängern und zugleich die Alterung zu bremsen.

"Jeder möchte lange leben, bloß alt werden will niemand." Jonathan Swifts dreihundert Jahre alte Erkenntnis hält heute eine Armada von Bioforschern in Fahrt. Fast monatlich identifizieren sie neue Gene, die für die älteste aller uralten Ungerechtigkeiten verantwortlich sind: dass einige Menschen länger jung bleiben und länger leben als andere.

Den Startschuss für den Feldzug gegen den Sensenmann gab der kalifornische Genetiker Michael Rose. In den 80er Jahren züchtete er genetisch veränderte Taufliegen, die deutlich länger lebten als ihre Artgenossen. Seitdem steht fest, dass die Lebenserwartung nicht vom Schicksal, sondern durch Gene bestimmt wird. Durch unterschiedliches Zusammenspiel dieser „Altersgene“ werden Eintagsfliegen nur einige Stunden alt, wogegen Schildkröten 250 Jahre überdauern können.

Die bei besonders alten Lebewesen aktiven Gene scheinen auf drei verschiedene Arten zu wirken. Eine Kategorie der Altersgene ist für die Reparatur der DNA, den Träger der Erbinformation, zuständig. Sie bessern kleinere Schäden (Mutationen) aus, die sich sonst im Laufe des Lebens anhäufen würden, bis der genetische Code nicht mehr lesbar ist und der Organismus stirbt.

Die zweite Sorte verhindert die Entstehung von Tumoren – wer keine bösartigen Geschwüre bekommt, hat eine höhere Lebenserwartung. Die dritte Art senkt den Blutspiegel des Hormons Insulin und regelt die Stoffwechselaktivität herunter, so dass der Organismus weniger Energie verbraucht. Wenn das chemische Feuer in den Zellen nicht so hell brennt, verschleißen sie langsamer und lagern weniger giftige Stoffwechselprodukte ab.

Die Drosselung des Stoffwechsels lässt sich auch durch Diät erzwingen: Hungernde Mäuse und andere Versuchstiere leben deutlich länger als ihre normal ernährten Artgenossen. Auch beim Menschen steht fest, dass kalorienarme Ernährung den Insulinspiegel senkt und die Lebenserwartung verlängert. Umgekehrt führen Überernährung und Bewegungsmangel zu erhöhtem Insulinspiegel und machen träge und stressanfällig.

Doch es geht nicht nur darum, den Sensenmann zu überlisten. Jonathan Swifts bekanntester Protagonist Gulliver traf auf der fernen Insel Luggnagg Lebewesen, die es geschafft hatten, uralt zu werden – doch dabei wurden sie auch immer kränker, schwächer und hässlicher. Je mehr von ihnen Gulliver kennenlernte, desto mehr verlor er die Angst vor dem Tode.

Ein kürzlich entdeckter Genschalter in der Zelle ist offenbar in der Lage, das Leben zu verlängern und zugleich die Alterung zu bremsen. Der „Transkriptionsfaktor“ FOXO aktiviert so ziemlich alle Gene auf einmal, die irgendwie lebensverlängernd und verjüngend wirken. Reparatursysteme für brüchig werdende DNA werden ebenso angeworfen wie Schutzprogramme, die Tumorzellen zum Selbstmord zwingen.

Zugleich räumt FOXO giftige Stoffwechselprodukte („freie Radikale“) weg und macht den Organismus widerstandsfähig gegen Stress. Schließlich dreht FOXO den Energieverbrauch der Zelle herunter und bremst die Wirkung von Insulin. Kein Wunder, dass dieser Methusalem-Faktor gehäuft in Individuen angetroffen wird, die ungewöhnlich alt werden – von Michael Roses greisen Taufliegen bis zu Fadenwürmern, die doppelt so lange leben wie ihre Artgenossen.

Seit kurzem steht nun fest, dass FOXO auch beim Menschen funktioniert. Wie Wissenschaftler der Universität von Hawaii herausfanden, tragen über 95-jährige Japaner besonders häufig eine bestimmte FOXO-Variante in ihren Genen. Sie hatten zudem weniger Herzkreislauferkrankungen und weniger Tumore als ihre Altersgruppe und waren körperlich und geistig sehr fit. Diese Woche bestätigte eine Kieler Forschungsgruppe, dass diese bestimmte Variante auch bei sehr alten Deutschen oft vorkommt. Damit könnte das Wirkprinzip für Medikamente gefunden sein, die in ferner Zukunft Leben verlängern.

Solange kein lebensverlängernder Jungbrunnen zur Verfügung steht, kann jeder zumindest versuchen, während der gottgegebenen Lebenszeit möglichst jung zu bleiben. Auch dafür hat Swift eine zeitlose Erkenntnis parat: „Die besten Ärzte der Welt sind Dr. Diät, Dr. Ruhe und Dr. Fröhlich.“

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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