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Was WISSEN schafft: Die Rache der Schweine

Sie sind so intelligent wie Hunde - und sollten auch so gehalten werden.

Dass Schweine schlau sind, weiß jedes Kind. Kinoheld „Schweinchen Babe“ gewann fröhlich grunzend einen Wettbewerb für Schäferhunde und trickste so manchen Bösewicht aus. Die „Drei kleinen Schweinchen“ aus dem Bilderbuch versteckten sich schlau in einem Steinhaus vor dem Wolf. Der „hustete und pustete“ was die Wolfslunge hergab, aber das Schweinchenhaus hielt stand. Den erschöpften Angreifer kochten die drei Ferkel dann im Suppentopf – die Rache der Schweine kann grausam sein.

Für Verhaltensforscher war bislang jedoch keineswegs klar, wie schlau das Borstenvieh tatsächlich ist. Zwar können Schweine ähnlich abgerichtet werden wie Hunde, sie hören auf „Platz!“ und „Steh!“ und hüten tatsächlich Schafe, wenn man es ihnen beibringt. Schweine haben ein ähnliches Herz, einen ähnlichen Stoffwechsel und ein ähnliches Immunsystem wie Menschen. Doch besitzen sie auch eine rudimentäre Form von Bewusstsein, so wie Affen und Delfine?

Verhaltensforscher unterteilen bei Tieren das Bewusstsein für die eigene Existenz in vier Stufen. Schnecken beispielsweise stehen auf der untersten Stufe, sie haben ein Gefühl für ihre Position im Raum und können diesen in gefährliche und ungefährliche Orte einteilen („perceptual awareness“). Die höchste Stufe tierischen Bewusstseins („executive awareness“) wird durch den berühmten Spiegeltest nachgewiesen: Einem Versuchstier, an dem eine Farbmarkierung angebracht ist, wird ein Spiegel vorgehalten. Wenn das Tier spontan nach der Markierung greift oder schnappt ist bewiesen, dass es sich selbst im Spiegel erkennt, also ein Bewusstsein für die eigene Identität besitzt. Einige Affenarten, Elefanten und Delfine haben den Spiegeltest bestanden. Menschen erkennen ihr Spiegelbild etwa ab dem neunten Lebensmonat.

Die Nagelprobe, ob es so etwas wie ein Schweinebewusstsein gibt oder nicht, machten jetzt Wissenschaftler der britischen Universität Cambridge. Nachdem sie Schweinen einen großen Spiegel in den Stall gestellt hatten, reagierten die Borstentiere ähnlich wie kleine Kinder: Sie grunzten ihr vermeintliches Gegenüber an, versuchten es zu berühren und suchten hinter dem Spiegel nach ihm. Einige legten sich neben den Spiegel, um Gesellschaft zu haben.

Im zweiten Teil des Experiments stellten die Forscher dann einen Fressnapf hinter einer Trennwand auf, so dass die Schweine ihn nur im Spiegel sehen konnten. Frische Versuchstiere suchten das Futter erwartungsgemäß im oder hinter dem Spiegelbild. Die an den Spiegel gewöhnten Schweine drehten dagegen sofort um und steuerten auf den um die Ecke versteckten Fressnapf zu – sie hatten mit Hilfe des Spiegelbildes ihre eigene Position und den Weg zum Futter ermittelt. Die britischen Verhaltensforscher schließen daraus, dass Schweine mindestens zur zweithöchsten Stufe tierischen Bewusstseins („assessment awareness“) fähig sind: Sie können sich selbst zu Dingen in Beziehung setzen und Handlungsmuster für künftige Situationen entwerfen – das entspricht der kognitiven Fähigkeit von Hunden.

Beim Test für die höchste tierische Bewusstseinsstufe versagten die Schweine jedoch: Zumindest in diesem Experiment fanden sich keine eindeutigen Hinweise auf Ich-Erkennung bei den Schweinen. Auch die Tatsache, dass ein Weibchen beim Anblick ihres Konterfeis wütend den Spiegel zerstörte, wollten die Wissenschaftler nicht als Beleg für Selbsterkennung werten. Dennoch muss aufgrund der nachgewiesenen kognitiven Fähigkeiten die Massenhaltung von Schweinen kritisch hinterfragt werden.

Wenn Schweine ein Ich- Bewusstsein auf der Stufe von Hunden haben, sollten sie auch so fürsorglich wie Hunde gehalten werden. Das wäre übrigens auch für den Menschen von Vorteil: Das aktuelle „Schweinegrippevirus“ ist ein (abgeschwächter) Nachfahre des Pandemievirus von 1918, mit dem der Mensch damals wahrscheinlich das Hausschwein infizierte. Jahrzehntelang wurden die Schweine von der Grippe geplagt, ohne dass der Mensch sich darum scherte. Jetzt haben die Vierbeiner zurückgeschlagen – die Rache der Schweine kann eben grausam sein.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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