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Was WISSEN schafft: Ducken und beten

Der Erdbebenschutz in Chile hat offenbar gewirkt

Eine gefühlte Schrecksekunde nach der Katastrophe von Haiti bebte die Erde schon wieder, diesmal in Chile. Mit einer Intensität von 8,8 war es das siebtstärkste Beben, das jemals gemessen wurde. Doch während die Behörden in Port-au-Prince mit 220 000 Toten rechnen, registrierte man in Santiago bislang lediglich 723 Opfer. Selbst wenn sich diese Zahl noch mehr als verdoppeln sollte, ist die Katastrophe in Chile vergleichsweise glimpflich verlaufen. In dem katholisch geprägten Land zünden die Menschen Kerzen für ihren Patron San Francisco Solano an, den Schutzheiligen gegen Erdbeben.

Doch auch Haiti ist offiziell römisch-katholisch – obwohl wahrscheinlich drei Viertel der Bevölkerung in Wahrheit Voodoo-Kulten anhängen. Warum hatte das Beben auf der Karibikinsel so verheerende Auswirkungen?

An der Stärke der Erschütterungen kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Dank der heute üblichen „Momenten-Magnituden-Skala“ (Mw) können die Energien der beiden Beben direkt verglichen werden. Die früher verwendete Richterskala beruhte auf Messungen der Erschütterungswellen in der Nähe des Epizentrums. Weil in der Erdkruste Wellen mit höherer Intensität stärker gedämpft werden, gibt es auf der Richterskala zwischen extrem starken Beben nur noch sehr kleine Unterschiede.

Im Gegensatz dazu ist die Mw-Skala (logarithmisch) proportional zur freigesetzten Energie, so dass auch sehr starke Beben miteinander verglichen werden können. Der Wert von 8,8 auf der Mw-Skala entspricht einer Energie von rund 19 000 Hiroshima-Atombomben, das haitische Beben mit der Intensität 7,0 war 500 Mal schwächer. Auch die Art der Erdverschiebung war in Chile gefährlicher. Da sich hier zwei Platten der Erdkruste übereinander wälzen (der Pazifikboden schiebt sich unter den südamerikanischen Kontinent), kommt es zu starken vertikalen Erdstößen. Meist folgen schwere Nachbeben (und manchmal sogar Vulkanausbrüche), weil die Platten sich nach und nach über die ganze Länge Ihrer Kontaktfläche zurechtrücken.

Durch die Hubwirkung auf das Meerwasser entstand zusätzlich ein Tsunami, der ungefähr 30 Minuten nach dem Beben weite Teile der chilenischen Küste verwüstete. In Haiti gleiten dagegen zwei Platten aneinander vorbei, gelegentlich auftretende Verklemmungen lösen sich mit einem Ruck. Solche horizontalen Verschiebungen der Erdkruste haben kaum Hubwirkung und lösen in der Regel keine Tsunamis aus.

In Haiti wurde die Hauptstadt des Landes, Port-au-Prince, besonders hart getroffen, weil das Epizentrum des Bebens nur 25 Kilometer vor der Zweimillionenmetropole lag. Doch auch das chilenische Beben ereignete sich unweit einer Großstadt. Der Ballungsraum von Concepción, in dem eine Million Menschen leben, war nur 92 Kilometer vom Epizentrum entfernt.

Offenbar haben sich die Schutzmaßnahmen bezahlt gemacht, die sich Chile nach der verheerenden Erdbebenserie von 1960 verordnet hatte. Die Vorschriften für die Erdbebensicherheit von Bauwerken gehören zu den strengsten der Welt. Chilenische Behörden und Betriebe halten regelmäßig Erdbebenübungen ab. Die Gemeinden haben Katastrophenpläne und Tsunami-Warnsysteme. Jedes Kind kann vormachen, was bei einem „terremoto“ zu tun ist: ducken, unter den Tisch kriechen, festhalten.

Eines gelingt den Geologen und Geophysikern, von denen einige der besten an den Universitäten von Santiago und Valdivia arbeiten, jedoch bis heute nicht: die Vorhersage von Erdbeben. So ist zwar bekannt, dass Beben wie das vom vergangenen Samstag von weiteren, schweren Erschütterungen gefolgt sein können. 1960 folgten auf ein Beben in Concepción innerhalb von 16 Tagen sieben weitere schwere Erdstöße, darunter das stärkste jemals registrierte Erdbeben von Valdivia am 22. Mai 1960 (9,5 auf der Mw-Skala). Demnach wäre auch jetzt mit weiteren massiven Erdstößen zu rechnen – oder es kehrt wieder für einige Jahre Ruhe ein.

San Francisco Solano, der Schutzheilige von Chile und der Hauptstadt Santiago, war da schon weiter. Das schwere Erdbeben von 1619 soll er bereits 1604 exakt vorhergesagt haben – möglicherweise hilft es ja doch, ein guter Katholik zu sein.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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