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Was WISSEN schafft: Forscher am Pranger

Der Weltklimarat muss sich reformieren, um glaubwürdig zu bleiben

Auf die Klimaforscher einzuschlagen, scheint neuerdings in Mode gekommen zu sein. Dass sich im Vorfeld der Weltklimagipfel die „Klimaskeptiker“ zu Wort melden und die menschengemachte Erderwärmung anzweifeln, gehört schon länger zur Routine. Vor dem Gipfel in Kopenhagen veröffentlichte dann ein Unbekannter über tausend persönliche E-Mails aus einem renommierten britischen Forschungsinstitut. Kritiker meinen, darin Hinweise auf Manipulationen von Klimadaten gefunden zu haben, die in den letzten Bericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) aus dem Jahr 2007 eingeflossen sind.

Während der IPCC noch unschlüssig diskutiert, wie er auf dieses „Climategate“ reagieren soll, folgte jetzt die nächste Affäre: Die dramatische Prognose des IPCC, wonach die Himalaja-Gletscher bei gleichbleibender Erderwärmung wahrscheinlich bis 2035 verschwinden würden, beruhte auf einem peinlichen Versehen – die Autoren des Kapitels hatten die Behauptung aus einer populärwissenschaftlichen Quelle abgeschrieben und dabei auch noch die Jahreszahl 2350 zu 2035 verdreht. Nun fordern Kritiker den Rücktritt des langjährigen IPCC- Vorsitzenden Rajendra Pachauri.

Hat der ehrwürdige Klimarat der Vereinten Nationen, der anlässlich seines Berichtes im Jahr 2007 gemeinsam mit Al Gore den Friedensnobelpreis bekam, möglicherweise die Auswirkungen der Treibhausgase übertrieben, um den Druck auf die Politik zu erhöhen? Aus den bisher bekannten Fakten ergibt sich jedoch für eine Manipulation des IPCC-Berichtes nicht der geringste Hinweis.

Die zum „Climategate“ hochgespielten E-Mails aus dem Computer der University of East Anglia offenbaren nicht mehr als die alltäglichen Abgründe und Frustrationen eines ganz normalen Forscherlebens: Die britischen Klimaforscher beschimpfen ihre Konkurrenten (die Klimaskeptiker) als „Idioten“, deren Arbeiten nennen sie „Müll“ und „Fälschung“. Im Ergebnis aber stützte sich der IPCC-Bericht an keiner Stelle ausschließlich auf die Aussagen des Klimaforschungsinstituts der ostenglischen Universität. Auch wurden die nicht zur Hockeyschlägerkurve der Erderwärmung passenden Daten nicht weggelassen, sondern ausführlich diskutiert.

Auch bei „Glaciergate“ gab es keine raffinierten Manipulationen – im Gegenteil: Der Zahlendreher beweist nur, wie wenig professionell der IPCC leider auch 21 Jahre nach seiner Gründung arbeitet. Weil die Arbeit ehrenamtlich ist und die Berichte nicht für die wissenschaftliche Publikationsliste zählen, lassen sich nicht für alle Kapitel erstklassige Autoren finden. Außerdem müssen wegen des UN-Auftrags Autoren aus aller Herren Länder beteiligt werden, selbst wenn dort keine Fachleute verfügbar sind. Die falsche Zahl stand in einer halbseitigen „Fallstudie“ zu den Himalaja-Gletschern relativ unbedarfter Autoren und wurde an keiner anderen Stelle des über 2000-seitigen Berichts zitiert. Alle anderen Kapitel und die entscheidende Zusammenfassung stellen das globale Schmelzen der Gletscher korrekt dar.

Peinlich ist allerdings, dass der IPCC-Vorsitzende die für Fachleute offensichtlich falsche Jahreszahl mehrfach zitierte. Als einer der wichtigsten indischen Gletscherforscher im November 2009 zu einem ganz anderen Ergebnis kam, beschimpfte Pachauri dessen Arbeit sogar als „Voodoo-Wissenschaft“.

Der Bericht des IPCC im Jahr 2007 hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Erderwärmung durch vom Menschen freigesetzte Klimagase heute weltweit als gesichert gilt. Zwei gerade veröffentlichten, unabhängigen Studien der Weltraumbehörde Nasa und des Nationalen Klimazentrums der USA zufolge war das vergangene Jahrzehnt das wärmste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen im Jahr 1880 – seitdem hat sich die Atmosphäre bereits um 0,8 Grad erwärmt. Damit hat sich die Aufgabe des IPCC gewandelt: Die Politik braucht jetzt detaillierte und belastbare Vorhersagen, die von einer breiten Mehrheit der Fachleute getragen werden. Der IPCC muss deshalb professioneller werden und sich aus der politischen Agitation heraushalten. Für Rajendra Pachauri, der den Nobelpreis zu Recht für sein politisches Engagement entgegengenommen hat, wäre das ein guter Zeitpunkt für einen würdigen Abgang.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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