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Was WISSEN schafft: Gefährliche Zäpfchen

Möglicherweise löst ein Fiebermittel Asthma aus.

Medizinmarketing ist ein ganz besonderes Geschäft – das wussten schon die Ärzte der Antike. Scribonius Largus, Leibarzt des chronisch kränkelnden Kaisers Claudius, musste im ersten Jahrhundert n. Chr. gegen den Verdacht ankämpfen, Ärzte würden mit ihren brachialen Therapien und giftigen Tinkturen wenig Nutzen und zuweilen den Tod bringen. Um das schlechte Image aufzupäppeln, empfahl Largus den Leitspruch „primum nil nocere“: Der Arzt soll vor allem nicht schaden. Den griffigen Slogan, den der Medicus von der hippokratischen Schule abgekupfert hatte, verwenden Ärzte und Pharmafirmen bis heute – vor allem dann, wenn Risiken und Nebenwirkungen ihren Ruf in Gefahr bringen.

Nirgendwo ist die Furcht vor Nebenwirkungen so präsent wie in der Pädiatrie. Kinder reagieren besonders empfindlich auf Medikamente, und Kinderkrankheiten verschwinden meistens auch von selbst. Wer Medizin für die Kleinsten vermarkten will, hat es deshalb mit zwei mächtigen Gegnern zu tun: Der Angst vor Nebenwirkungen und dem Glauben an die Selbstheilungskräfte der Natur. Kein Wunder, dass pädiatrische Mittel fast immer als „sanft“, „schonend“ und „nebenwirkungsarm“ angepriesen werden.

Bis in die 1980er Jahre war Aspirin das Paradebeispiel eines „guten“ Medikaments, das vor allem keinen Schaden anrichtet. Eltern und Ärzte verfütterten den Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) jahrzehntelang an die Kleinsten. Doch dann häuften sich Berichte einer seltenen Krankheit, bei der plötzlich das Gehirn und die Leber zugrunde gehen. Es stellte sich heraus, dass die Zunahme dieses „Reye-Syndroms“ bei Kindern auf ASS zurückzuführen war.

Für Kinder mit Schmerzen oder Fieber ist seitdem nicht mehr ASS, sondern Paracetamol die weltweite Nummer eins. Ein Paracetamol-Zäpfchen etwa wird hierzulande für seine „sanfte Kraft“ gepriesen und als „eines der nebenwirkungsärmsten Arzneimittel der Welt“ vermarktet. Dass Paracetamol bei Überdosierung mitunter tödliche Leberschäden verursacht und in Großpackungen deshalb seit 2009 unter Rezeptpflicht steht, findet sich nur im Kleingedruckten. Doch Paracetamol hat, wenn die neusten Studien stimmen, noch eine andere Nebenwirkung, von der im Beipackzettel kein Wort steht.

Mit dem Austausch von ASS gegen Paracetamol in den 1980er Jahren ist das Reye-Syndrom zurückgegangen. Dafür nahm jedoch eine andere Krankheit dramatisch zu: Die Zahl der Asthmafälle bei Kindern hat sich in 30 Jahren mehr als verdoppelt. Neben der „Hygiene-Hypothese“, wonach eine saubere und keimarme Umwelt dafür verantwortlich ist, wird schon seit längerem spekuliert, dass Paracetamol die Entwicklung von Asthma begünstigen könnte.

Mehrere Studien erhärten jetzt den Verdacht. Die größte wertete Daten von 520 000 Kindern in 54 Ländern aus. Es zeigte sich eine eindeutige, dosisabhängige Korrelation zwischen der Einnahme von Paracetamol und dem Auftreten von Asthma. Kinder, die mindestens einmal monatlich Paracetamol bekamen, hatten ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko, an Asthma zu erkranken.

Die Pharmaindustrie hält dagegen, Asthmatiker hätten öfter Fieber und bekämen deshalb öfter Paracetamol. Auch könnten Virusinfekte, bei denen Paracetamol verabreicht wird, als solche die Entstehung von Asthma begünstigen. Deshalb sah es die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) noch im Februar nicht als bewiesen an, dass Paracetamol Asthma verursacht. Nicht erklären konnte die EMA allerdings, warum Asthma bei anderen Fiebermitteln (wie Ibuprofen) nicht vermehrt auftritt. Mehrere Studien, die Paracetamol direkt mit anderen Fiebersenkern verglichen, fanden nur für Paracetamol ein erhöhtes Asthma-Risiko. Zudem zeigen Viren und Bakterien typische Verteilungen nach Altersgruppen und geografischen Regionen – der Zusammenhang zwischen Paracetamol und Asthma ist davon jedoch unabhängig.

Paracetamol, das nur ein mäßig effektives Fiebermittel ist, wird in der Pädiatrie verwendet, weil es angeblich „vor allem nicht schaden“ soll. Man darf gespannt sein, wie lange das Pharmamarketing das Asthma-Risiko noch übertünchen kann.

Auch für Scribonius Largus hat sich das Image des „primum nil nocere“ offenbar ausgezahlt: Als Claudius mit Gift ermordet wurde, verdächtigte man dessen Ehefrau Agrippina und einen anderen Leibarzt.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: J. Peyer

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