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Was WISSEN schafft: Gefährliches Schoßhündchen

Der oft harmlose Verlauf der Schweingrippe täuscht: Deutschland sollte sich deshalb stärker um eine Versorgung mit dem Impfstoff bemühen

Eigentlich müssten wir der Vogelgrippe dankbar sein. Jahrelang hatte eine Handvoll Seuchenexperten an die Politik appelliert, endlich antivirale Medikamente einzulagern, Impfstoffe zu bestellen und Pandemiepläne auszuarbeiten. Doch der Ball kam erst ins Rollen, als die Bilder der sterbenden Schwäne, der Männer in Schutzanzügen und der Tornados im Tiefflug über die Fernseher flimmerten. Dank der Vogelgrippe ist Deutschland – wie viele andere Länder der Welt – auf die Influenza-Pandemie besser vorbereitet als auf irgendeine andere angekündigte Katastrophe.

Glücklicherweise ist die Schweinegrippe um ein Vielfaches ungefährlicher als die befürchtete Pandemie nach Art der Spanischen Grippe, die durch ein mutiertes Vogelvirus ausgelöst wurde: Die Welt hat sich auf einen blutrünstigen Wolf vorbereitet, gekommen ist ein Schoßhündchen. An der Spanischen Grippe von 1918 starben etwa 2,5 Prozent, bei den (sehr seltenen) menschlichen Vogelgrippe-Infektionen mit H5N1 sind es sogar 60 Prozent. Bei der Schweinegrippe H1N1 verlaufen, nach groben Schätzungen, nur 0,4 Prozent der Erkrankungen tödlich. Das ist allerdings immer noch viermal so viel wie bei der normalen Grippe – es wäre deshalb fatal, das bissige Schoßhündchen zu unterschätzen.

Zudem hat die Schweinegrippe bereits die Schwachstellen der Pandemieplanung aufgezeigt – und zwar gerade deshalb, weil sie oft so harmlos verläuft. Die sechsstufige Pandemieskala der WHO sorgte weltweit für Konfusionen, weil sie die Schwere der Erkrankungen nicht berücksichtigt – andere Fachleute verwenden einen besseren Stufenplan, in den die Aggressivität des Virus eingeht.

Weil ein Pandemievirus nach Erwartung der Behörden also immer sehr aggressiv sein sollte, hielten sie die Einschleppung der Seuche durch „symptomlose Ausscheider“ für vernachlässigbar. Auf Labortests am Flughafen, mit denen solche symptomlos Infizierte entdeckt werden können, hatte man sich deshalb nicht vorbereitet. Die Hoffnung, einreisende Virusausscheider anhand der typischen Grippesymptome wie Fieber und Husten zu erkennen, erwies sich als Trugschluss: Seit kurzem steht fest, dass die Schweinegrippe auch untypisch, zum Beispiel mit Magen-Darm-Beschwerden, oder ganz ohne Symptome verlaufen kann. Neben den rund 200 offiziell bestätigten Fällen dürften mindestens einige hundert Infizierte nach Deutschland eingereist sein, die nicht erkannt wurden und das Virus weiter verbreiten. In wenigen Monaten werden daraus Zehntausende geworden sein.

Auch beim Impfstoff bereitet die relative Harmlosigkeit der Schweinegrippe Probleme: Eigentlich hatte die WHO geplant, spätestens bei Stufe sechs („Pandemie“) der Warnskala die Herstellung des Impfstoffes zu starten – dann kann jedoch kein Impfstoff gegen die saisonale Grippe mehr produziert werden, an der jährlich bis zu 500 000 Menschen sterben. Doch das Schweinegrippevirus ist nur wenig gefährlicher als die saisonale Influenza, bisher sind weltweit weniger als 200 Tote gemeldet. Die WHO will deshalb die Lage weiter beobachten und erst später entscheiden, ob sie den Startschuss für die Produktion des Pandemieimpfstoffes gibt. Danach dauert es noch etwa sechs Monate, bis mit Massenimpfungen begonnen werden kann.

Die USA, Großbritannien, die Schweiz und andere reiche Länder wollen nicht so lange warten. Sie haben schon im Mai auf eigene Faust „präpandemischen“ Schweinegrippe-Impfstoff bestellt. In Europa existiert dafür bereits eine Zulassung, die ursprünglich mit Blick auf das Vogelgrippevirus H5N1 beantragt wurde. Die wirkungsverstärkende Komponente dieses Impfstoffes wurde großenteils bereits ausgeliefert. Sobald der gegen das Schweinegrippevirus H1N1 gerichtete Anteil fertig ist, können beide Komponenten gemischt und verimpft werden. Läuft alles nach Plan, wird in diesen Ländern ab Dezember geimpft.

Deutschland hat dagegen, trotz entsprechender Empfehlung der Schutzkommission, keinen präpandemischen Impfstoff bestellt und muss jetzt hoffen, dass die WHO sich bald zur globalen Impfstoffproduktion entschließt. Sonst müssten Politiker möglicherweise im Wahljahr erklären, warum die anderen schon impfen, während man hierzulande das Schoßhündchen unterschätzt hat.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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