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Was WISSEN schafft: Gesundheit muss nicht teuer sein

Nur Leistungen mit erwiesenem Nutzen sollten erstattet werden

Die Debatte ist längst zum Ritual geworden: Jede neue Regierung verspricht, die exorbitanten Gesundheitskosten endlich in den Griff zu bekommen. Am Anfang der Legislaturperiode gibt es hitzige Wortgefechte um Kopfpauschalen, Zwangsrabatte, Medikamentenhöchstpreise und ähnliche Worthülsen – bis irgendwann keiner mehr versteht, worum es eigentlich geht. Dann feiert die Bundestagsmehrheit einen verquasten Kompromiss als großen Erfolg, während die Gesundheitskosten weiter wachsen.

Den gefräßigen Kraken zu bändigen, ist auch deshalb so schwer, weil so viele Menschen von ihm profitieren. Der „medizinisch-industrielle Komplex“ ist mit rund 250 Milliarden Euro der umsatzstärkste Wirtschaftszweig der Republik. Die Branche ist obendrein krisenfest, weil die Bevölkerung altert und die Nachfrage so gut wie unabhängig von Konjunktur und Export ist. Schließlich profitiert jeder Einzelne vom solidarischen Gesundheitssystem, weil jeder einmal ernsthaft krank werden kann.

Andererseits ist allen Fachleuten klar, dass die steigenden Gesundheitskosten die Handlungsfähigkeit des Staates einschränken. Die hohen Lohnnebenkosten lassen Deutschland im globalen Wettbewerb zurückfallen. Für Bildung, Forschung und andere Zukunftsthemen fehlen deshalb die Mittel. Das im Gesundheitssystem versenkte Geld bringt dagegen kaum gesellschaftliche Rendite. Zudem fließt ein Großteil an ausländische Pharmafirmen, Krankenhausketten, Laborkonzerne und Medizintechnikhersteller.

Der Grund für die Zwickmühle ist, neben wirtschaftlichen und egoistischen Interessen, auch eine kollektive Illusion: Patienten, Ärzte und Politiker sind mehrheitlich davon überzeugt, dass mit mehr Geld mehr Gesundheit zu erkaufen ist. Deshalb reagieren Sozialpolitiker regelrecht allergisch, wenn es um Leistungskürzungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht. Dies würde – so die Befürchtung – insbesondere sozial Schwache treffen, weil sie private Zusatzversicherungen nicht bezahlen können. Selbst Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) legt sich derzeit lieber mit der Pharmaindustrie an, als den Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit zu riskieren.

Tatsächlich hat Gesundheit jedoch viel weniger mit dem Gesundheitssystem zu tun, als dessen Profiteure glauben machen. Ein Großteil der neuen, teuren Medikamente hält nicht, was die Hersteller versprechen. Auch bei einigen aufwendigen Diagnoseverfahren, etwa dem Mammografie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs, ist der Nutzen umstritten.

Ländervergleichende Untersuchungen zeigen, dass die medizinische Versorgung nur mit etwa zehn Prozent zur Gesundheit der Bevölkerung beiträgt – viel wichtiger sind Hygiene, Ernährung, Bewegung und erträgliche Arbeitsbedingungen. Das deutsche Gesundheitssystem ist das viertteuerste der Welt, bei Qualitätsrankings erreicht es jedoch meist nur Mittelmaß. Mindestens ein Drittel der Kosten könnte theoretisch eingespart werden, ohne dass ein einziger Mensch sterben oder vermeidbares Leid ertragen müsste. Doch wer sollte bestimmen, welche Leistungen überflüssig sind?

Medizin ist individuell und oft unwissenschaftlich, und das ist gut so. Der eine bekommt eine Spritze und geht gleich wieder zur Arbeit, der andere braucht drei Wochen Kur. Der eine lässt sich sofort operieren, der andere wartet ab und hofft auf Spontanheilung. Der eine will unbedingt Chemotherapie, der andere vertraut auf Homöopathie. Was im Einzelfall die beste Therapie ist, kann nur der Arzt gemeinsam mit seinem Patienten entscheiden.

Wofür die Solidargemeinschaft aufkommen muss, kann dagegen allgemein definiert werden: Was nachgewiesenermaßen wirkt, wird bezahlt – der Rest ist Privatsache. Kern einer wirksamen Gesundheitsreform muss deshalb die Streichung aller GKV-Leistungen sein, die keinen wissenschaftlich belegten Nutzen haben. Für Medikamente bedeutet dies, dass der Hersteller deren Nutzen nachweisen muss, bevor sie als erstattungsfähig anerkannt werden. Doch dagegen sträubt sich die Pharmaindustrie interessanterweise noch mehr als gegen Höchstpreise und Zwangsrabatte – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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