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Algenblüte. Das massenhafte Wachstum von Cyanobakterien färbt das Wasser vor der Ostseeinsel Vilm grün. Die Folge: Der Sauerstoffgehalt im Wasser nimmt ab.

© dpa

Was WISSEN schafft: Gewässer in Atemnot

Bis 2020 sollen die europäischen Meere in einem "guten Zustand" sein. Das wird nicht gelingen. Den Gewässern geht es schlecht - und das hat Folgen für unser Leben an Land.

Der Tod kommt aus der Tiefe: Wie eine unsichtbare Giftwolke quillt in der Ostsee regelmäßig sauerstoffarmes Wasser von unten in die höheren Schichten und tötet dort zahlreiche Fische. Eine Ursache für das wiederkehrende Massensterben sind Stickstoff und Phosphor, die aus der Landwirtschaft und Haushaltsabwässern stammen und im Meer Algenblüten auslösen.

Zwar geht die Menge der unerwünschten Nährstoffe langsam zurück, doch die Ostsee ist noch weit entfernt von einem „guten Zustand der Meeresumwelt“. Den soll sie bis 2020 erreichen – dieses Ziel hatte die Europäische Union 2008 für alle europäischen Meere ausgerufen. Dabei geht es nicht um Öko-Romantik, sondern darum, eine wichtige Grundlage der Ernährung sowie der Rohstoffversorgung für gut 500 Millionen Menschen zu sichern.

Noch gibt es große Informationslücken

Welche Fortschritte erzielt wurden und wo es hakt, darüber diskutierten Experten auf einer EU-Konferenz in Brüssel. Klar ist: Der „gute Zustand“ wird sich bis zum Ende des Jahrzehnts, falls überhaupt, nur in einzelnen Regionen einstellen. Und auch das erscheint fraglich.

Den „guten Zustand“ macht die EU an unterschiedlichen Kriterien fest. Dazu zählen die Anzahl verschiedener Meerestiere, der Gehalt an Schadstoffen sowie Fangmengen der Fischer. Die Mitgliedstaaten wurden aufgerufen, entsprechende Daten nach Brüssel zu schicken. Was zurückkam, erlaubt allenfalls Aussagen zu zwei Dritteln der europäischen Meeresfläche und selbst dort klaffen teils erhebliche Informationslücken. Die verbleibenden nutzbaren Daten zeichnen ein schlechtes Bild.

Nach wie vor wird vielerorts viel zu viel Fisch aus dem Wasser gezogen. 88 Prozent der Bestände im Mittel- und Schwarzen Meer gelten als überfischt, im Nordostatlantik sind es 39 Prozent. Auch wenn man es aus der Perspektive eines Landes mit geradezu zwanghaftem Recycling und Abfallmanagement kaum glauben mag: Der Müll in den Meeren nimmt weiter zu. Neun von zehn Eissturmvögeln, die über der Nordsee kreisen, haben Plastik im Magen. Nicht jeder stirbt daran, doch es liegt auf der Hand, dass große Mengen Abfall den Tieren schaden.

"Todeszonen" in der Ostsee und dem Schwarzen Meer

Auch die sauerstoffarmen Zonen setzen der Lebenswelt zu. Besonders betroffen sind die Ostsee und das Schwarze Meer, die nur selten frisches Salzwasser erhalten, dafür aber viele Nährstoffe vom Festland. Sie führen dazu, dass sich im Sommer Cyanobakterien massenhaft vermehren und Algenblüten entstehen. Die Bakterien sinken nach unten und werden von Mikroben zersetzt, die dabei viel Sauerstoff verbrauchen. Es entsteht eine todbringende Brühe. Dagegen hilft frisches, sauerstoffreiches Salzwasser, nur gelangt das immer seltener in die Ostsee. Mitte des 20. Jahrhunderts schwappte es bis zu vier Mal im Jahr aus der Nordsee in das Baltische Meer. Dafür braucht es anhaltenden Wind zunächst aus Ost, um die Ostsee etwas zu leeren, und dann von West, um die Lücke mit Frischwasser zu füllen.

Heute tritt diese Konstellation nur alle paar Jahre einmal auf, möglicherweise aufgrund von Klimavariationen über dem Atlantik. Das Bakterienwachstum wird zudem verschärft durch steigende Wassertemperaturen infolge des Klimawandels. Für die Ostsee bedeutet das, die „Todeszonen“ in der Tiefe bleiben erhalten, obwohl die Nährstofffracht in den Flüssen langsam zurückgeht. Andernfalls wäre die Lage noch gravierender. Auch beim Artenschutz und der Entwicklung der Fischbestände gibt es Fortschritte. Sie gehen zurück auf die Kooperation der Anrainerstaaten, die jahrelang erbittert gekämpft haben um Schadstoffeinträge und Fangquoten, sich am Ende aber doch einigen konnten.

Die Anrainerstaaten müssen an einem Strang ziehen

Das zeigt: Der länderübergreifende Wille ist eine wesentliche Voraussetzung, um auch den Zustand der übrigen Meere zu verbessern. Es müssen Grenzwerte für Schadstoffe aus Landwirtschaft und Industrie vereinbart werden, die den Gewässern wirklich nützen. Und es braucht eine Fischereipolitik, die sich den folgenden Generationen verpflichtet fühlt. Es muss aber auch darum gehen, wie die Meere in einem vernünftigen Rahmen nutzbar bleiben für die Rohstoff- und Energiegewinnung. Wer Bohrinseln und Offshore-Windräder grundsätzlich ablehnt, verkennt, dass unser Leben allein mit den Ressourcen des Festlandes kaum möglich ist.

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