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Was WISSEN schafft: Grandioser Crash auf dem Hudson

Landung auf dem Fluss: Einen Flugzeugabsturz überlebt man nicht, weil man ein Held ist - dazu gehört auch Glück.

Manchmal bestimmt eine sekundenschnelle Entscheidung darüber, ob ein Mensch als Held oder als Versager in die Geschichte eingeht. Bei Kapitän Chesley B. Sullenberger kam dieser Moment im 29. Dienstjahr als Verkehrspilot, 60 Sekunden nach dem Start seines Airbus A 320 vom New Yorker Flughafen La Guardia. Der Jet kollidierte in nur 1000 Meter Höhe mit einem Schwarm großer Vögel, beide Triebwerke verstopften schlagartig und verstummten. In der Kabine war es still wie in einem Lesesaal, es roch nach verbranntem Vogelkadaver. Eine Minute später traf Sullenberger die Entscheidung, die ihn zum Helden machte: Er setzte zur Notwasserung auf dem Hudson River an - und alle 155 Insassen überlebten.

Fachleute erklärten das "Wunder vom Hudson" sofort zur fliegerischen Meisterleistung: Um für eine Landung auf festem Boden nach La Guardia zurückzukehren, wäre es viel zu weit gewesen. Sullenberger habe die fliegerisch schwierigere und gefährlichere Wasserung perfekt gemeistert. Der Kampfjetveteran und Hobbysegelflieger wusste, dass der Airbus 320 über einen speziellen Schalter verfügt, der im Falle einer Notwasserung ("ditch") den Rumpf abdichtet.

Nicht alle Plätze sind gleich sicher

Seitdem steht fest: Ein Flugzeugabsturz ist noch lange kein Grund zum Sterben. Doch wenn es nicht das Schicksal ist, was entscheidet dann darüber, ob Menschen bei einem Flugzeugunglück umkommen oder nicht? Die naheliegende Vermutung, bestimmte Sitzplätze seien sicherer als andere, wird von den Fluggesellschaften vehement bestritten. Sie verweisen auf vorgeschriebene Evakuierungstests, bei denen sämtliche Passagiere ein Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden verlassen müssen, selbst wenn die Hälfte der Notausgänge blockiert ist. Doch bei diesen Übungen sind alle Teilnehmer entspannt und folgen exakt den Anweisungen des Kabinenpersonals. In echten Notsituationen bleiben Menschen dagegen mit ihren Angehörigen zusammen, öffnen die Gepäckfächer oder blasen gar die Schwimmwesten auf. Viele werden durch giftigen Rauch bewusstlos, einige bekommen vor Aufregung einen Herzinfarkt. Gänge und Ausgänge sind meistens verstopft.

Deshalb sind, wie mehrere Studien an Hunderten von Flugunfällen zeigen, keineswegs alle Plätze gleich sicher: Die beste Überlebenschance besteht, wenn ein Ausgang höchstens fünf Sitzreihen entfernt ist. Wer nicht direkt am Notausgang sitzt, kommt von einem Gangplatz am schnellsten aus dem Flugzeug. Ob es sich im vorderen oder hinteren Teil der Kabine sicherer fliegt, ist dagegen nicht eindeutig zu beantworten. Gemäß einer Untersuchung der britischen Luftfahrtbehörde liegt bei einem Feuer die Überlebensrate in der Businessclass bei 65 Prozent gegenüber 53 Prozent in den hinteren Reihen. Ohne Feuer ist dagegen die Economyclass günstiger.

Die Passagiere standen unter Schock

Passionierte Risikominimierer lesen deshalb immer die Sicherheitskarten. Sie merken sich die Zahl der Reihen bis zu den nächsten beiden Ausgängen und spielen die Wege dorthin im Geiste durch - so lässt sich die Schockstarre überwinden, die rund 80 Prozent der Menschen in Extremsituationen lähmt. Die viel gelobte "Besonnenheit" der Passagiere, die den im Hudson gewasserten Airbus äußerst langsam verließen, teilweise ihr Handgepäck mitnahmen und dann scheinbar ungerührt auf den Tragflächen warteten, ist in Wirklichkeit Ausdruck dieser gefährlichen Schockstarre.

Wie viel Glück tatsächlich im Spiel war, wird erst jetzt langsam klar, nachdem der Flugschreiber ausgewertet und die Besatzungsmitglieder befragt wurden. Demnach verbrachten die Piloten wertvolle Zeit mit einer dreiseitigen Checkliste für den Neustart der Triebwerke, die nur für Ausfälle in großen Flughöhen gedacht ist. Möglicherweise hätten sie sonst den Flughafen Teterboro in New Jersey anfliegen können, dessen Landebahn 24 gleich nah wie die Wasserungsstelle im Hudson war.

Nach der Wasserung öffnete dann eine Passagierin seelenruhig eine der unter der Wasseroberfläche liegenden Hecktüren. Das eiskalte Wasser stand wohl auch aus einem anderen Grund schnell kniehoch in der Kabine: Presseberichten zufolge hatte der "Held vom Hudson" in der Aufregung glatt vergessen, den "Ditch"-Schalter zu betätigen. Hätten nicht die zufällig halb leeren Tanks für Auftrieb gesorgt, wäre die Maschine in kürzester Zeit gesunken - man braucht eben auch eine gehörige Portion Glück, um als Held in die Geschichte einzugehen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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