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Was WISSEN schafft: Maries angebliche Wunderheilung

Wurde bei Johannes Paul II. das kanonische Recht gebeugt?

Die medizinische Kommission des Vatikans hat sich die Arbeit nicht leicht gemacht. Sie überprüfte die Krankengeschichte bis ins Detail und ließ die Patientin durch Fachärzte nachuntersuchen. Immerhin standen öffentlich geäußerte Zweifel, ja sogar der Verdacht des Betruges, im Raum. Ende 2010 kamen die Experten dann, „im Lichte der am meisten abgesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ (Papst Benedikt XVI.), zu einem eindeutigen Ergebnis. Demnach hat sich, wissenschaftlich zweifelsfrei, Folgendes zugetragen.

Die 1961 geborene Ordensfrau Marie Simon-Pierre Normand aus dem südfranzösischen Aix en Provence litt, nach eigenen Angaben, bereits seit ihrem 34. Lebensjahr an Parkinson. Im Jahre 2001 wurde die Krankheit dann, gemäß Mitteilung des Vatikans, „vom behandelnden Arzt und auch weiteren Spezialisten“ diagnostiziert. Am 2. April 2005 starb Papst Johannes Paul II., der ebenfalls Parkinson hatte. Daraufhin wurden die Beschwerden der Schwester Marie so schlimm, dass sie ihren Beruf als Hebamme aufgeben wollte. Die Patientin und ihre Ordensschwestern riefen in Gebeten mehrmals Johannes Paul II. um Hilfe an.

Am Morgen des 3. Juni 2005 wacht die ehemals Schwerkranke auf – und fühlt sich plötzlich gesund. Es ist „Sacré-Coeur“, das in Frankreich groß gefeierte Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu. Schwester Marie setzt sofort alle Medikamente ab. Am 7. Juni geht sie zu ihrem Neurologen, der das Verschwinden der Parkinson-Symptome bestätigt. Schwester Marie ist angeblich bis heute gesund.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist Morbus Parkinson eine unheilbare Krankheit. Im Nucleus niger („schwarzen Kern“) der Hirnbasis sterben Nervenzellen ab, die den Signalstoff Dopamin produzieren. Der Dopaminmangel führt zu den typischen Parkinson-Symptomen – Bewegungsarmut, Muskelsteifheit und Zittern. Durch Medikamente kann das fehlende Dopamin zwar teilweise ersetzt werden, wodurch sich die Symptome verringern. Das Absterben der Nervenzellen, dessen Ursache unbekannt ist, lässt sich jedoch weder aufhalten noch rückgängig machen.

Wenn Schwester Marie also wirklich wieder gesund ist (was Kritiker bezweifeln), dann hatte sie keinen Morbus Parkinson. Ähnliche Symptome treten bei einer Reihe von Krankheiten auf, die Neurologen als „Parkinson-Syndrom“ zusammenfassen. Beispielsweise können Medikamente, Entzündungen und auch psychische Störungen reversible Parkinson-Syndrome hervorrufen. Da der echte Morbus Parkinson meist erst nach dem 50. Lebensjahr beginnt, passt auch der angebliche Beginn mit 34 Jahren nicht ins Bild. Wenn Schwester Marie gar keinen Parkinson hatte, wäre ihre Heilung jedoch kein Wunder.

Für die Seligsprechung verlangt das kanonische Recht ein „Wunder erster Klasse“, das heißt einen wissenschaftlich belegten Eingriff Gottes in die Gesetze der Natur. Im Falle einer Heilung muss diese „plötzlich“ eintreten und „dauerhaft“ sein. Dieser nicht-theologische Teil der Beatifikation ist besonders wichtig, weil er als göttliche Bestätigung dafür gilt, dass die Kongregation sich bei den anderen Kriterien (Ruf der Heiligkeit, Tugendhaftigkeit) nicht geirrt hat. Deshalb hat sich die Seligen-Kongregation auf die Diagnose „Morbus Parkinson“ festgelegt, die Heilung eines (reversiblen) Parkinson-Syndroms hätte nicht ausgereicht.

Der berühmte „Advocatus Diaboli“, der im Kirchenrecht bei Beatifikationen eigentlich ein Wörtchen mitzureden hätte, wurde im Falle Johannes Paul II. offenbar mundtot gemacht.

Bei strenger Anwendung des kanonischen Rechts sind Wunder selten. Im berühmten Wallfahrtsort Lourdes etwa wurden seit 1858 von rund 8000 berichteten Heilungen nur 67 als Wunder anerkannt. Der katholische Arzt Patrick Theillier, der in Lourdes viele Jahre für die Untersuchung der Heilungen zuständig war, hat dafür eine einfache Erklärung: Da Wunderheilungen „spektakulär“ und „dauerhaft“ sein müssen, dauert „es mindestens 10 Jahre, um festzustellen, ob jemand wirklich durch ein Wunder geheilt wurde.“ Im Fall Johannes Paul II. hat es die Kongregation in der halben Zeit geschafft – wenn das kein Wunder ist!

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Foto: Peyer

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