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Was WISSEN schafft: Michael Jackson: Was ein tragisches Ende lehrt

Erst "Uppers", dann "Downers": Der Missbrauch von Medikamenten ist gesellschaftsfähig

Seit Montag steht fest: Der „King of Pop“ ist an einer Mischung aus Schlaf- und Beruhigungsmitteln gestorben, die ihm sein Hausarzt verabreicht hat. Gemäß den Auszügen der Vernehmungsprotokolle und Laboruntersuchungen konnte Michael Jackson seit Monaten nur schlafen, wenn ihm sein Hausarzt eine Infusion stark wirksamer Medikamente verabreichte. Weil gewöhnliche Schlafmittel und Valium nicht mehr wirkten, bekam der Popstar schon länger Lorazepam und Midazolam.

Diese Substanzen, die wie Valium zu den süchtig machenden „Benzodiazepinen“ gehören, sind eigentlich zur Behandlung schwerer epileptischer Anfälle und für Kurznarkosen gedacht. Doch mit der Zeit gewöhnte sich Jacko auch an diese chemischen Keulen, sodass die Dosis immer weiter erhöht werden musste. Schließlich verabreichte ihm sein Hausarzt, Conrad Murray, Propofol, das sonst für Vollnarkosen im Krankenhaus verwendet wird. Michael Jackson nannte die weiße Fettemulsion seine „Milch“ und verlangte, so der Hausarzt, zuletzt jeden Abend danach.

In der Todesnacht verabreichte der Mediziner seinem schwer medikamentensüchtigen Patienten Infusionen mit Lorazepam, Midazolam, Propofol und möglicherweise weiteren Schlafmitteln. Als dann der Rettungsdienst eintraf, atmete Jackson bereits nicht mehr. Gegen Murray wird jetzt wegen Totschlags ermittelt. Offenbar informierte er die Notärzte nicht darüber, dass er seinem Patienten die lebensgefährlichen Medikamente verabreicht hatte.

Das tragische Ende des „King of Pop“ war gewiss ein Extremfall – jedoch greift der Medikamentenmissbrauch längst in allen Schichten der Gesellschaft um sich. Bekannte Pillenexzesse von Stars wie Jamie Lee Curtis, Amy Winehouse, Heath Ledger oder Anna Nicole Smith sind nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. In den USA gehört die abwechselnde Einnahme von Wachmachern („Uppers“) und Beruhigungsmitteln („Downers“) zum täglichen Ritual vieler Manager, Studenten und Schüler. Über 15 Millionen Amerikaner gelten als medikamentensüchtig, die Zahl der Todesopfer ist doppelt so groß wie bei illegalen Drogen. In Deutschland sind etwa 1,7 Millionen Menschen medikamentenabhängig, noch einmal so viele gelten als gefährdet.

Gerade für junge, aktive Menschen sind Medikamente scheinbar perfekte Hilfsmittel für das soziale Feintuning. Wer abends eigentlich zu müde für die Disko ist, nimmt einen kleinen Wachmacher. Um am Morgen wieder fit für die Arbeit zu sein, gibt’s zum Einschlafen eine andere Tablette. Vor Prüfungen schwören nicht nur Medizinstudenten auf Ritalin und ähnliche Konzentrationsförderer. Wer die Nächte durcharbeiten muss, nimmt Modafinil, ein Medikament gegen krankhafte Schlafsucht (Narkolepsie). Zum allgemeinen Hirndoping dienen die Alzheimermittel Donepezil und Piracetam. Insbesondere bei jungen Frauen sind auch Mittel gegen Fettsucht sowie Appetitzügler aller Art beliebt – praktischerweise haben auch viele „Uppers“ und „Neuro-Enhancer“ Appetithemmung als Nebenwirkung.

Beim sozialen Doping gibt es, wie beim Doping im Sport, Profis und Amateure. Stars wie Michael Jackson können sich mit Hilfe ihrer Privatärzte zu Hause mit intravenösen Narkosemitteln zudröhnen. Im semiprofessionellen Bereich dominieren normale, verschreibungspflichtige Pillen. Wer nicht einmal an falsche Rezepte kommt, muss sich mit Kaffee, Red Bull und Alkohol in Tages- oder Nachtform bringen.

Im Gegensatz zu dieser Holzklasse der sozialen Dopingmittel haben die zum Missbrauch tauglichen Medikamente eines gemeinsam: Sie sind ausnahmslos verschreibungspflichtig. Wie beim Doping im Sport haben deshalb Ärzte eine Schlüsselposition – sowohl bei der Förderung des Medikamentenmissbrauchs als auch bei dessen Bekämpfung. Statt bei jeder Stimmungsschwankung ihres Patienten den Rezeptblock zu zücken, müssen die Ärzte missbrauchsgefährliche Medikamente so restriktiv wie möglich verschreiben. Und wer einem offensichtlich süchtigen, kaum noch zurechnungsfähigen Patienten wie Michael Jackson Narkosemittel verabreicht, muss streng bestraft werden – sonst sind die Nachahmer aus der Amateurliga nicht mehr zu bremsen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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