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Meinung: Was Wissen schafft: Nicht zurück in die Flasche

So friedlich enden nun also die wilden Schlachten um Brokdorf, Gorleben und die anderen Bastionen des nuklear-industriellen Komplexes. Nicht im totalen Polizeistaat, den Robert Jungk und andere Zukunftsdenker vorausgesagt hatten, sondern in einem "Konsens", der nur Gewinner hat: Die Grünen haben das wichtigste Gründungsziel der Partei verwirklicht, die SPD ihren Koalitionspartner behalten.

So friedlich enden nun also die wilden Schlachten um Brokdorf, Gorleben und die anderen Bastionen des nuklear-industriellen Komplexes. Nicht im totalen Polizeistaat, den Robert Jungk und andere Zukunftsdenker vorausgesagt hatten, sondern in einem "Konsens", der nur Gewinner hat: Die Grünen haben das wichtigste Gründungsziel der Partei verwirklicht, die SPD ihren Koalitionspartner behalten. Und die Energiekonzerne dürfen weiter ungestört kernspalten, zumindest für die kommenden 20 Jahre.

Wie es aussieht, könnte der umstrittene Atomfrieden sogar eine ganze Weile halten. Zwar hat die Union für den Fall ihrer Regierungsübernahme eine Rücknahme des Gesetzes angekündigt. Das Schreckensszenario von Fraktionschef Merz - Deutschland steige "aus dem Kreis der Hochtechnologiestaaten aus" und die Treibhausgase nähmen zu - ist jedoch nicht haltbar. Erstens sind die deutschen Kernanlagenbauer weltweit operierende Konzerne - und Deutschland für sie nur ein Markt von vielen. Auch die Kerntechnik ist nur eine Hochtechnologie von vielen: Mit Solartechnik, Wasserstoffzellen und Kernfusion könnte eines Tages weit mehr Geld zu verdienen sein.

Zweitens gehen zwei Drittel des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes auf das Konto des Verkehrs und anderer Quellen, die nichts mit der Energieerzeugung zu tun haben. Um fossile Brennstoffe vollständig durch Kernenergie zu ersetzen, wären weltweit etwa 3000 Kernreaktoren notwendig - sieben Mal so viele wie heute in Betrieb sind (437). Die im Kyoto-Protokoll vorgesehene Kohlendioxid-Reduktion bis 2012 kann daher nur durch zwei Dinge erreicht werden: den Umstieg auf saubere Energiegewinnung und vor allem durch Verringerung des Energieverbrauches.

Wenn dies nicht gelingt, ist auch der Atomausstieg langfristig gefährdet. Regenerierbare Energiequellen wie Wind, Wasser und Sonnenlicht liefern trotz massiver Förderung in Deutschland bisher nicht mehr als sieben Prozent des Strombedarfes. Da der Ausbau von Wasser- und Sonnenkraftwerken begrenzt ist und kein "schmutziger" Strom importiert werden soll, kommt nur die Windenergie als Kernkraft-Ersatz in Frage. Um ein mittleres Kernkraftwerk zu ersetzen, sind jedoch über 1000 Hochleistungs-Windräder der modernsten Bauart notwendig. Damit diese riesigen Megawatt-Mühlen zuverlässig Strom liefern, müssen sie in windsicheren Gebieten stehen: Da die Stromerzeugung von der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit abhängt, führt jedes winzige Abflauen zu drastischen Energieeinbussen. Mit den bisher installierten, meist träge vor sich hindümpelnden Subventionstrophäen kluger Landwirte ist der Ausstieg nicht zu schaffen.

Um wettbewerbsfähig zu sein, müsste der Großteil des Windstromes aus gigantischen Offshore-Anlagen in der Nordsee gewonnen werden - die gibt es bisher nur als Modell. Trotz aller Gegenmaßnahmen steigt der Energieverbrauch in Deutschland Jahr für Jahr weiter an. Wenn die Erschließung sauberer Energien nicht schnell genug voran kommt, könnte in einigen Jahren der Strom knapp und der Atomausstiegs-Konsens Makulatur werden.

Mahnende Beispiele gibt es: In Brasilien, das den Großteil seines Stromes aus Wasserkraft gewinnt, hat eine Dürreperiode gerade die Lichter ausgehen lassen - jetzt wird intensiv über den Neubau von Kernkraftwerken nachgedacht. Auch der notorische Energieverschwender USA steuert auf eine Stromkrise zu - für die Klimaanlagen-Monate Juli bis September werden staatenweite "Blackouts" vorhergesagt. Der von Präsident Bush vorgelegte Krisenplan ist simpel: neue Ölbohrungen in Naturschutzgebieten, neue Kernkraftwerke - und eine Überprüfung des Moratoriums für die atomare Wiederaufbereitung.

Eine verfügbare Technologie aus ökologischen oder ethischen Gründen zurück in die Flasche zu sperren, erweist sich spätestens in Krisenzeiten als unmöglich.

Alexander S. KekulÉ

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