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Was WISSEN schafft: Panik auf der Brücke

Warum Politiker meist zu spät auf Katastrophen reagieren

Piloten wissen, dass kleine Warnsignale große Katastrophen ankündigen können. Wenn im Cockpit ein rotes Lämpchen aufleuchtet, ist das womöglich viel gefährlicher als so manche Turbulenz, die bei den unwissenden Passagieren Angst und Schrecken verbreitet. Deshalb sitzen im Flugzeug die Fachleute vorne und die Laien hinten.

Beim Raumschiff Erde sind die Verhältnisse umgekehrt. Seit Jahrzehnten warnen die Fachleute vor der Klimakatastrophe, doch die Staatsoberhäupter nahmen die schrillenden Alarmsirenen bislang nicht zur Kenntnis. Nur was hautnah spürbare Turbulenzen verursacht, entfacht politischen Tatendrang: Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Rezession, Alltagskriminalität und die Gefahr, dass die Fußball-WM ausfällt sind wichtigere Probleme als eine abstrakte Weltkatastrophe in ferner Zukunft. Wissenschaftliche Studien zum Klimaproblem finden in der Politik kaum Gehör.

Wahrscheinlich hätten die Klimaexperten noch erfolglos gerufen, bis sie sprichwörtlich in der Wüste stehen – wäre ihnen nicht das schlechte Wetter zu Hilfe gekommen. Hochwasser an Oder und Elbe, Flutkatastrophe in Mosambik, Hitzewelle in Mitteleuropa, Hurrikane über den USA und jetzt auch noch sintflutartiger Dauerregen in Deutschland und England: Extreme Wettersituationen gehen den Menschen unter die Haut. Für Politiker bieten sie Gelegenheit, sich als Deichgraf, Krisenkanzler in Gummistiefeln oder Weltregierungsmoderatorin zu profilieren.

Weil auch der frisch gekürte britische Premierminister das Wasser auf seine Mühlen leiten will, kam es am Montag zu einer kleinen Sensation: Gordon Brown kündigte Konsequenzen aus einer wissenschaftlichen Arbeit an, die noch gar nicht veröffentlicht war. In der morgigen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“ weist eine internationale Forschergruppe nach, dass der Mensch an der Zunahme der Niederschläge in Mitteleuropa und Nordamerika zumindest Mitschuld trägt. Brown forderte, umgehend den nationalen Hochwasserschutz zu verbessern und die Anstrengungen zum Klimaschutz zu verstärken.

Dabei ist keineswegs bewiesen, dass die aktuellen Unwetter ein Resultat der Treibhausgase sind. Die neue Studie zeigt lediglich, dass der schon länger nachgewiesene Anstieg der durchschnittlichen Niederschlagsmenge zwischen dem 40. und 70. nördlichen Breitengrad im Laufe des 20. Jahrhunderts teilweise auf menschliche Faktoren zurückzuführen ist. Nachdem der menschliche Einfluss auf die Temperatur der unteren Atmosphäre und die Erwärmung der Meere schon früher nachgewiesen wurde, ist das jetzige Ergebnis nicht überraschend – aber es passt eben gut zur „Juliflut“, die derzeit die Gemüter in Großbritannien bewegt.

Der wissenschaftliche Chefberater der britischen Regierung, Sir David King, warnte bereits 2004 in seinem Bericht „Future Flooding“ vor zunehmenden Regenfällen und mahnte Verbesserungen beim Hochwasserschutz an. Doch damals, kurz nach der Hitzewelle von 2003, passte die Prognose nicht zu den aktuellen Ängsten des Wahlvolkes – und blieb folgenlos.

Ohne Konsequenzen blieben auch die Warnungen der Fachleute vor Sicherheitsrisiken im Kernreaktor von Tschernobyl, bis es für Vorsorgemaßnahmen zu spät war. Auch auf die BSE-Gefahr wurde trotz jahrelanger Warnungen erst reagiert, als Menschen an einer neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit starben. Und die Influenza-Pandemieplanung wäre nie in Gang gekommen, hätte nicht die Vogelgrippe das Volk in Angst und Schrecken versetzt.

Die künftigen, globalen Gefahren für die Menschheit sind tückisch, weil sie sich weder durch spektakuläre Turbulenzen ankündigen noch hautnah spürbar sind. Einzige Warnsignale sind wissenschaftliche Prognosen, deren Abstraktheit die politische Legitimation von Gegenmaßnahmen schwer macht. Langfristig wird das Überleben des Homo sapiens jedoch davon abhängen ob er lernt, auf die kleinen roten Lämpchen zu reagieren.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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