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Was WISSEN schafft: Schuss vor den Bug

Die Havarie am Great Barrier Reef muss Folgen haben: für das Überwachungssystem des Weltnaturerbes.

Schon wieder schockiert eine Schiffshavarie die Öffentlichkeit, diesmal ist das größte Korallenriff der Welt in Gefahr. Vor Australiens Ostküste liegt seit Tagen der Chinesische Frachter „Shen Neng 1“ auf dem Great Barrier Reef. Der Seegang schaukelt das mit 65.000 Tonnen Steinkohle voll beladene Schiff hin und her. Wie ein gigantischer Hobel pflügt der 230 Meter lange Frachter seine Masse von mehr als 1200 Kampfpanzern durch die Korallen auf dem Riffdach. Bis die filigranen Lebewesen nachgewachsen sind, werden mehrere Jahrzehnte vergehen.

Doch die australischen Behörden befürchten noch eine weitaus schlimmere Katastrophe. Das Schiff hat knapp 1000 Tonnen Treibstoff gebunkert, der auslaufen und eine Ölpest über dem Naturschutzgebiet verursachen könnte. Im schlimmsten Fall, so die Behörden, könnte der Unglücksfrachter sogar zerbrechen und Teile des Riffs unter einer Kohledecke begraben.

Steinkohle ist zwar weniger gefährlich als Öl für das maritime Ökosystem, weil sie sich kaum im Meerwasser löst und nur lokale Schäden am Grund verursacht. Doch auch der besonders umweltschädliche, schwere Schiffstreibstoff kann verheerende Folgen haben, wie das Unglück der „Pallas“ im Jahre 1998 eindrücklich vor Augen führte. Knapp 90 Tonnen ausgelaufenes Bunkeröl reichten damals aus, um das Wattenmeer vor Amrum mit schwarzem Schlick zu überziehen und rund 12.000 Wasservögel zu töten.

Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Katastrophenwarnungen der australischen Behörden diesmal jedoch unbegründet. Die Treibstofftanks des Kohlefrachters haben bisher nicht leckgeschlagen. Das wenige ausgelaufene Öl stammte wohl eher von der Zerstörung der Antriebsmaschine und der Ruderanlage. Da das Riff unter der Wasseroberfläche liegt, würde es durch eine geringe Menge Öl ohnehin kaum geschädigt werden. Schweröl treibt zunächst auf der Wasseroberfläche und sinkt erst nach Tagen langsam ab, wenn es durch Sonnenlicht und Bakterien in eine teerartige Masse umgewandelt wurde.

Warum die „Shen Neng 1“ sich etwa 15 Seemeilen von der erlaubten Fahrrinne entfernte und mitten durch das Sperrgebiet über dem Great Barrier Reef fuhr, ist offiziell noch ungeklärt. Wie lokale Medien berichten, werden hier jedoch regelmäßig Frachtschiffe gesichtet. Auf dem Weg vom australischen Industriehafen Gladstone nach Norden ist die Route durch das Reservat offenbar eine beliebte Abkürzung. Dass Frachter auf die Korallen laufen, kommt dabei öfter vor. Doch weil sie sich meistens aus eigener Kraft wieder freifahren können, werden die Vorfälle nicht an die große Glocke gehängt.

Umweltschützer fordern deshalb seit mehr als zehn Jahren eine Lotsenpflicht für die Gewässer vor dem Riff. Doch die Mehrkosten von rund 8000 Dollar pro Fahrt passen der Regierung nicht in ihre wirtschaftlichen Pläne: Gladstone soll einer der größten Industriehäfen des australischen Kontinents werden, insbesondere das nach Kohle und Erzen hungrige China soll aus den Abbaugebieten im Süden Queenslands beliefert werden.

Die demonstrative Entrüstung australischer Politiker über die chinesische Havarie dürfte deshalb noch einen anderen Grund haben. Peking ließ gerade vier Manager des Bergbaukonzerns Rio Tinto wegen Bestechung zu langen Haftstrafen verurteilen, Australien ist über seinen wichtigsten Handelspartner verärgert. Einer der Verurteilten war Australier, der Konzern ist einer der wichtigsten Erzexporteure des Kontinents.

Für das Great Barrier Reef könnte diese politische Konstellation ein Glücksfall sein. Ein großer Teil des 2300 Kilometer langen Weltnaturerbes wird seit 2004 durch ein aufwendiges Überwachungssystem geschützt. Alle Großschiffe müssen sich über Funk anmelden, ihre Position wird per Radar, Inmarsat-Satellitenortung (Automated Position Reporting) und UKW/GPS-Funkortung (Automatic Identification System) überwacht.

Wer hier die vorgeschriebene Fahrrinne verlässt, hat innerhalb von Minuten die Küstenwache am Hals. Doch das Überwachungssystem fehlt im südlichen Teil des Riffs, wo die „Shen Neng 1“ havarierte. Die australische Bundesregierung hat inzwischen allerdings angekündigt, das Überwachungssystem auf das gesamte Riff auszudehnen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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