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Paar auf der Pont des Arts in Paris.

© AFP

Was WISSEN schafft: So funkt es zwischen Menschen

Für die zwischenmenschliche Chemie kommt es auf die Synchronisation der Kommunikation an: Die beiden müssen sich verbunden fühlen.

Von Anna Sauerbrey

Die Stadt Philadelphia beherbergt eine der vielleicht ungewöhnlichsten Kunstsammlungen in den USA. Der Sammler, Albert Coombs Barnes, wurde 1872 geboren und mit einem Medikament reich. Über die Jahre kaufte er nicht weniger als 181 Renoirs, 69 Cézannes, 60 Matisses und 46 Picassos, dazu Renaissancewerke und asiatische Kunst. Das Ungewöhnlichste an Barnes’ Sammlung aber ist die genialisch-spleenige Präsentation der Werke. Barnes wollte den Besuchern formale und inhaltliche Querverbindungen zwischen den Werken aufzeigen und arrangierte jeweils etwa 15 bis 30 Werke pro Wand in enger, symmetrischer Hängung, garniert mit zu Ornamenten umfunktionierten Objekten amerikanischer Handwerkskunst: Türklopfer, Scharniere, Metallkrüge.

Die Hängung gleich im ersten Raum aber könnte man überschreiben: über die Magie menschlicher Verbindungen. Im Zentrum des Arrangements steht ein Werk von Renoir, das die Familie des Malers zeigt. Eine Amme kniet neben der kleinen Tochter des Malers und schaut das Mädchen liebevoll an. Ergänzt wird dieses zentrale Element unter anderem durch kleinformatige Renaissancewerke. Eines, ein Tintoretto, zeigt zwei der Apostel einander zugewandt im Gespräch. Ein drittes Bild zeigt einen Ehemann am Sterbebett seiner Frau. Beide schweigen, doch auch zwischen ihnen scheint es einen intensiven Gleichklang zu geben, den alle Maler gleichermaßen eingefangen haben. Wir sehen jeweils zwei Individuen, die aber auf magische Art alle interpersonellen emotionalen Grenzen überwunden zu haben scheinen.

Das Phänomen wird häufig als „zwischenmenschliche Chemie“ bezeichnet, und die Präzision, mit der die Künstler es wiedergeben, dürfte manchen Soziologen vor Neid erblassen lassen. Die Soziologie befasst sich seit Generationen damit, wie diese intuitiven Verbindungen entstehen und funktionieren. „Social bonding“ wird das in der angelsächsischen Literatur genannt. Der Begriff kann sich auf Gesellschaften wie auch auf Paare beziehen. Der Ursoziologe Émile Durkheim etwa untersuchte, wie durch religiöse Zeremonien eine Art „soziale Extase“ entsteht, die Gesellschaften über gemeinsame Interessen hinaus stabilisiert. Ein nicht unerheblicher Teil der modernen Forschung aber beschäftigt sich mit der Chemie zwischen Mann und Frau. In der jüngsten Ausgabe des „American Journal of Sociology“ etwa fragen die Stanford-Soziologen Daniel McFarland und Dan Jurafsky und Craig Rawlings von der University of California danach, wie das „Gefühl der interpersonellen Verbundenheit“ bei Teilnehmern von Speed-Dating-Veranstaltungen entsteht.

McFarland, Jurafsky und Rawlings analysierten mithilfe von Computern über 2000 jeweils vier Minuten lange Speed-Dating-Gespräche. Die These der Soziologen: Um das Gefühl, dass es „funkt“, herzustellen, ist vor allem die „Synchronisation“ der Kommunikation wichtig. Die Partner antizipieren die Erwartungen und Haltungen des anderen und reagieren darauf. So entsteht ein Gefühl der Gemeinsamkeit und Solidarität.

Tatsächlich konnten die Forscher gerade bei den „erfolgreichen“ Gesprächen – also solchen, bei denen sich beide am Ende ein weiteres Treffen wünschten – häufig Strategien entdecken, die auf eine rituelle Synchronisierung hindeuten. Frauen, so konnten die Forscher feststellen, fühlten sich wohler in Gesprächen, in denen sie der Fokus der Aufmerksamkeit waren. „Erfolgreiche“ männliche Gesprächspartner verstärkten diese Asymmetrie intuitiv durch Nachfragen. Auch Synchronisierungstechniken wie das Nachahmen von Lachen, das Wiederholen einzelner Wörter oder das Vollenden angefangener Sätze des Partners waren besonders häufig bei Paaren, die später angaben, es habe „gefunkt“. Die Soziologen vermerken, dass häufig herkömmliche Geschlechterrollen eingenommen werden – offenbar verstärkt auch eine klare Rollenverteilung das „Verbindungsgefühl“.

Was Albert Coombs Barnes möglicherweise als gemeinsames Thema seiner Kunstwerke sah – eine Magie, die emotionale interpersonelle Grenzen zu überwinden scheint –, existiert also tatsächlich. Jedenfalls beinahe. McFarland, Jurafsky und Rawlings stellten fest, dass auch solche Speed-Dater berichteten, es habe „gefunkt“, deren Partner das Gegenteil sagten. Wahrhaft „übertragen“ lässt sich das Verbindungsgefühl also offenbar nicht. Beim „social bonding“ wird, anders als es die Kunst suggeriert, nicht wirklich eine Grenze überschritten. Das Gefühl einer Verbindung ist also doch ein recht einsames.

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