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Was WISSEN schafft: Strategiewechsel bei der Schweinegrippe

Jetzt geht es um die Vermeidung von Neuinfektionen. Aber auch hier fehlen die nötigen Regeln

Neue Besen kehren bekanntlich gut. Der neue Bundesgesundheitsminister fegte erst einmal das Arsenal von Fehlinformationen und Halbwahrheiten aus seinem Haus, das zum Chaos bei der Schweinegrippe geführt hatte. Philipp Rösler stellte erstens klar, dass der zurzeit verfügbare Impfstoff für medizinisches Personal, Einsatzkräfte und chronisch Kranke gedacht ist – alle anderen müssen sich erst einmal gedulden. Zweitens räumte er ein, dass der Impfstoff bei weitem nicht für alle Bürger reichen wird. Menschen ohne besonderes gesundheitliches Risiko müssen teilweise bis April oder länger warten. Drittens sollen bis Dezember 150 000 Dosen einer Vakzine für Schwangere bereitgestellt werden, die keine Wirkverstärker (Adjuvanzien) enthält.

Damit ist bei der Pandemiebekämpfung erst einmal gerettet, was noch zu retten war. Die zwei gröbsten Strategiefehler kann freilich auch der dynamische Minister nicht rückgängig machen. Erstens hatten sich Bund und Länder offenbar bereits vor Jahren verpflichtet, im Pandemiefall Impfstoffe mit den umstrittenen Adjuvanzien zu kaufen – die Verträge wurden auf Wunsch des Bundesgesundheitsministeriums geheim gehalten. Da die Sicherheit der Adjuvanzien jedoch nicht ausreichend geprüft ist, wird deren Anwendung bei Schwangeren und gesunden Kindern nicht generell empfohlen. Erstere müssten aber wegen des erhöhten Risikos, letztere zur Eindämmung der Virusausbreitung dringend geimpft werden.

Den zweiten Kardinalfehler begingen Bund und Länder im September dieses Jahres: Sie beschlossen, mit der Impfung doch nicht alle Deutschen, sondern nur Risikogruppen und Schlüsselpersonal zu schützen. Deshalb sollten nur noch 25 Millionen Menschen geimpft werden, von der Option auf 160 Millionen Dosen ließ man den Großteil verfallen. Damit war der Plan von der Eindämmung der Virusausbreitung, etwa durch Massenimpfung von gesunden Kindern, in Deutschland klammheimlich zu Grabe getragen worden. Die Planänderung verlief so diskret, dass selbst Ärzte und Behördenvertreter davon zunächst nichts mitbekamen – der vehemente Streit etwa, ob Kinder und andere Normalbürger geimpft werden sollen, drehte sich letztlich um des Kaisers Bart.

Angesichts der aktuellen Lieferengpässe mag man sich darüber ärgern, dass Deutschland weniger als ein Drittel der optionierten Impfstoffmenge bestellt hat – das hilft jedoch nicht weiter, weil jetzt kein Hersteller mehr liefern kann. Immerhin hat Rösler Glaxo SmithKline das Versprechen abgerungen, bis Ende Dezember 20 Millionen und bis Ende März die gesamten 50 Millionen Dosen auszuliefern. Derartig konkrete Zusagen hatte der Hersteller bislang verweigert – hier zahlt sich bereits aus, dass die Pandemiebekämpfung neuerdings Chefsache ist.

Da die Impfung die Pandemie nicht mehr eindämmt und weil insbesondere Schwangere noch eine Weile auf eine geeignete Vakzine warten müssen, ist die Vermeidung von Ansteckungen jetzt besonders wichtig. Angesichts der sprunghaft ansteigenden Neuinfektionen sollten Schwangere und chronisch Kranke Massenveranstaltungen und Tätigkeiten mit hoher Infektionsgefahr meiden. Hierfür gibt es jedoch noch keine bundeseinheitlichen Regeln, etwa zur Freistellung von schwangeren Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Analog müsste man eigentlich mit chronisch Kranken verfahren, bei denen die Schweinegrippe ein besonderes Risiko darstellt – doch ab wie viel Kilo sollte ein stark übergewichtiger Lehrer zu Hause bleiben?

Auch die Schließung von Schulen und Kitas wird weiterhin uneinheitlich gehandhabt. Ebenfalls geklärt werden muss die Frage, ob schulpflichtige Kinder mit bestimmten chronischen Krankheiten zu Hause bleiben dürfen – und ob deren Eltern von der Arbeit freigestellt werden können, um sie zu versorgen.

Die meisten der jetzt anstehenden Regelungen sind Ländersache, genau wie die Verteilung des Impfstoffes. Beim Bürger führt die föderale Entscheidungsvielfalt in Zeiten der Pandemie jedoch zu Recht zur Verunsicherung. Bundeseinheitliche Empfehlungen wären deshalb sinnvoll. Wo der neue Besen gerade so gut in Schwung ist, darf man vielleicht darauf hoffen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische

Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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