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Meinung: Was Wissen schafft: Titos Traum und Nasas Neid

Es ist wahrscheinlich die unkomfortabelste Reise, die jemals ein Tourist angetreten hat: Die Luft ist schwül und verbraucht, die Unterkunft eng. Das Hotelessen schmeckt nach Konserve, die Gemeinschaftstoilette müffelt.

Es ist wahrscheinlich die unkomfortabelste Reise, die jemals ein Tourist angetreten hat: Die Luft ist schwül und verbraucht, die Unterkunft eng. Das Hotelessen schmeckt nach Konserve, die Gemeinschaftstoilette müffelt. Nach zehn Tagen im selben Outfit ist der Fußpilz praktisch garantiert. Und das für schlappe 20 Millionen Dollar, zahlbar an die chronisch klamme russische Raumfahrtagentur. Gerüchte, denen zufolge die 2 533 300 Meilen beim Vielflieger-Programm der Aeroflot gutgeschrieben werden, wurden nicht bestätigt.

Trotzdem beneiden Millionen von Weltraum-Fans Dennis Tito, den kalifornischen Multimillionär und ersten Touristen im Orbit. Bis zuletzt war unklar, ob Titos Traum-Reise mit einer russischen Rakete zur Internationalen Raumstation ISS stattfinden kann. Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa, unter deren Federführung die ISS gebaut wird, wollte den reiselustigen Landsmann partout nicht an Bord nehmen: Wer haftet, wenn Tito den falschen Knopf drückt? Wer garantiert, dass der 60-Jährige fit genug ist? Trotz seiner achtmonatigen Vorbereitung im Trainingslager der russischen Kosmonauten stufte die Nasa den Touristen als Sicherheitsrisiko ein. Gäste wie Tito müssten mindestens sechs Wochen bei der Nasa trainieren, um fit für den Fun im Weltraum zu sein. Als Tito jedoch vergangenen Monat mit den russischen Kosmonauten zur Trainingseinheit im Johnson Space Center in Houston eintraf, wurde er brüsk abgewiesen. Zuletzt wollte die Nasa sogar die ganze Mission verschieben, angeblich wegen eines ausgefallenen Computers.

Die russische Seite sah darin ein Manöver, um Zeit zu gewinnen und weiter Druck gegen die Mitnahme des unerwünschten Passagiers zu machen. Erst die Drohung des Sprechers der russischen Raumfahrtagentur, "die Rakete morgen auf jeden Fall raufzuschicken", brachte den Nasa-Computer über Nacht wieder zum laufen - und Tito in den Weltraum. Hinter dem peinlichen Gezerre stecken verletzte Raumfahrer-Ehre und wirtschaftliches Kalkül. Zwar betont die Nasa, der angebliche Flugpreis von 20 Millionen stehe in keinem Verhältnis zu den 60 Milliarden Dollar Gesamtkosten der ISS.

Doch in Wirklichkeit hätte sie gerne selbst den ersten Touristen in den Weltraum geschickt. Seit der Challenger-Explosion 1986 und dem Verlust des Mars Observer 1993 jagte eine Panne die andere, der Haushalt der Nasa wurde Jahr für Jahr gekürzt. Die geplante kommerzielle Nutzung der Schwerelosigkeit, etwa für chemische Synthesen oder die Herstellung von Halbleitern, hat sich als Flop erwiesen. Heute ist das Selbstbewusstsein der einst glanzvollen Behörde knapp über dem Tiefstand von 1961 angelangt, als die Russen den ersten Menschen ins All geschossen hatten.

Seit drei Jahren ist die touristische Erschließung des Alls erklärtes Ziel der Nasa. Einer Studie zufolge wollen 42 Prozent der Amerikaner Urlaub im Weltraum machen, der Markt wird auf 10 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Für die touristische Erschließung des Weltraumes steht das Who-is-Who der amerikanischen Großindustrie in den Startlöchern, von Boeing über General Dynamics bis Lockheed. Zehn Millionen Dollar sind für die Konstruktion eines Touristen-tauglichen Raumschiffes ausgesetzt.

Doch ausgerechnet die Russen haben bereits ein ideales Touristen-Gefährt. Die "Sojus"-Rettungskapsel, der relativ billige russische Beitrag zur ISS, muss alle sechs Monate ausgetauscht werden. Bei den regelmäßigen Service-Flügen gelangt die Besatzung nach zehn Tagen mit der alten Rettungskapsel zurück zur Erde. Die Sojus wird von zwei Kosmonauten geflogen, hat aber Kapazität für drei: Die Russen haben angekündigt, alle sechs Monate einen Touristen mitzunehmen, auch für weniger Geld. Die letzte Rate muss Tito übrigens erst nach der Rückkehr zahlen - auch hier könnten die Russen für so manchen Reiseveranstalter Vorbild sein.

Alexander S. Kekulé

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