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Was WISSEN schafft: Viel zu artig

Mit Pauken und Trompeten verfehlt: Die Artenkonferenz in Bonn bringt keine Fortschritte. Dabei ist der Artenschutz genauso wichtig und dringend wie das Klima.

Schon gehört? Die Vereinten Nationen sind gerade wieder dabei, die Welt zu retten. Diesmal geht es um die Erhaltung der Artenvielfalt (Biodiversität). Das ist ungefähr so wichtig wie der Klimaschutz, ungefähr genauso teuer und ungefähr genauso aussichtslos. Die 190 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) tagen seit vergangenem Montag in Bonn. Die Welt außerhalb Deutschlands nimmt davon jedoch kaum Notiz: Der Wirbelsturm in Birma, das Beben in China und der Wahlkampf in den USA bewegen die Menschen mehr als aussterbende Nashornarten. Daran änderte auch die Meldung der Vereinten Nationen nichts, an der birmanischen Zyklonkatastrophe sei die Rodung der Mangrovenwälder im Irrawaddy-Delta mitschuldig gewesen.

Dementsprechend uninspiriert gestalten sich die Verhandlungen am Rhein. Die Vertragsstaaten des beim Erdgipfel von Rio 1992 formulierten CBD treffen sich alle zwei Jahre, gemeinsam mit Naturschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen. Währenddessen radiert der Mensch weiterhin Jahr für Jahr einige Zehntausend Tier- und Pflanzenarten vom Planeten. Der Artenschwund steigt sogar noch an: Die Ausbreitung der Zivilisation und der industriellen Landwirtschaft, die Rodung der Regenwälder und die Überfischung der Weltmeere nehmen kontinuierlich zu, ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Selbst das bescheidene, 2002 in Johannesburg gesteckte Zwischenziel, das Artensterben bis 2010 „signifikant“ zu reduzieren, wird mit Pauken und Trompeten verfehlt.

Der Schutz der biologischen Vielfalt ist seit Rio noch weniger vorangekommen als der Klimaschutz. Auf halbwegs konkrete Ziele, wie sie etwa das Kyoto-Protokoll für den Klimaschutz festlegt, konnten sich die Vertragsstaaten beim CBD nicht einigen. Groteske Konsequenz: Länder wie Brasilien roden ihre Urwälder und vernichten unzählige Tier und Pflanzenarten, um Zuckerrohr für „klimafreundlichen“ Biosprit anzubauen.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen jetzt ökonomische Anreize den Naturschutz voranbringen: In Analogie zum Emissionshandel für Treibhausgase soll eine globale Börse für unversehrte Naturstücke, das „Life Web“ entstehen. Entwicklungsländer, in denen das Artensterben am dramatischsten voranschreitet, können sich dann die Erhaltung der Natur von Industriestaaten und privaten Geldgebern bezahlen lassen.

Umweltökonomen rechnen vor, dass allein die Korallenriffe der Erde jährlich 30 Milliarden Dollar für den Tauchtourismus erwirtschaften. Eine ähnliche Summe brächten Arzneimittel aus Naturstoffen ein, die Bienen seien acht Milliarden wert. Mit allen indirekten Vorteilen, etwa für Klimaschutz und Landwirtschaft, soll der globale Jahresertrag der Natur bei 33 Billionen Dollar liegen.

Das „Life Web“ hat allerdings einen schweren Konstruktionsfehler: Es bringt, im Gegensatz zum Emissionshandel, für die Investoren keine wirtschaftlichen Vorteile. Der Erwerb von Besitz- oder Nutzungsrechten – etwa für Pharmaforschung, Forstwirtschaft oder Tourismus – ist zu Recht nicht vorgesehen.

Doch wer spendet hohe Millionenbeträge für ein Stück unberührte Flusslandschaft im Amazonasgebiet, einen Nationalpark im Kongo oder ein Korallenriff in der Südsee? Und was passiert, wenn die für den Naturschutz bestochenen Staaten nach ein paar Jahren nicht mehr mitmachen wollen, weil die Ausbeutung der Ressourcen doch mehr Gewinn abwirft?

Eine nachhaltige Trendwende bei den großen Themen Naturschutz, Klimaschutz und Energieversorgung ist erst dann zu erwarten, wenn die Weltbevölkerung nicht mehr wächst und die Minimalbedürfnisse aller Menschen befriedigt werden – an dieser Erkenntnis hat sich seit der Studie des Club of Rome von 1972 nichts geändert. Der Schlüssel zum globalen Naturschutz liegt deshalb in der Entwicklungshilfe.

Wenn am Freitag die neunte Konferenz der Vertragsstaaten des CBD zu Ende geht, werden die Politiker dennoch wie üblich Optimismus verbreiten und angebliche Erfolge präsentieren. Die Welt ist jedoch noch lange nicht gerettet.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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