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Was WISSEN schafft: Waffen töten, nicht "World of Warcraft"

Sieben Jahre nach Erfurt ist die Diskussion neu entfacht, ob brutale Computerspiele eine Ursache für Amokläufe von Schülern sind. Doch Computerspiele erhöhen nicht die Gewaltbereitschaft. Massenmorde wie in Winnenden sind unvermeidbare Kollateralschäden eines anderen Problems.

Die Sprachlosigkeit nach dem Amoklauf von Winnenden dauerte nur wenige Stunden. Bereits am Abend des Tattages meldeten sich Innenpolitiker und Waffenexperten zu Wort und erklärten dem beunruhigten Volk, womit das Unglück auf keinen Fall etwa zu Tun haben kann: Das deutsche Waffenrecht sei „schon so was von dicht“, wie es ein Fachmann der Polizeigewerkschaft GdP ausdrückte, dass eine weitere Verschärfung nicht mehr Sicherheit bringe. Man sollte stattdessen lieber mal „nachbohren“, ergänzte Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein, ob der Täter „Killerspiele genutzt“ habe.

Sieben Jahre nach Erfurt ist die Diskussion neu entfacht, ob brutale Computerspiele eine Ursache für Amokläufe von Schülern sind. Doch die psychologische Datenlage ist dünn.

Eindeutig nachgewiesen ist immerhin, dass Ballerspiele (Ego- Shooter) wie „Counterstrike“ oder „Grand Theft Auto“ vorübergehend die Gewaltbereitschaft erhöhen. Wenn beispielsweise junge Probanden unmittelbar nach einigen Stunden Ego-Shooting aufgefordert werden, eine andere Person durch Lärm zu bestrafen, drehen sie die Lautstärke weiter auf als ohne vorheriges Ballerspiel. Ähnliche Experimente beweisen, dass brutale Computerspiele vorübergehend stärker gewaltbereit machen, als dies bei Gewaltvideos oder Gewaltcomics der Fall ist. Durch die virtuelle Realität und die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden, ist der emotionale „Lerneffekt“ beim Computerspiel stärker, gerade bei Kindern und Jugendlichen.

Doch bereits die nächste Frage, ob Ballerspiele auch längerfristig den Charakter beeinflussen, ist bislang ungeklärt. Bei Jugendlichen, die nur selten Killerspiele benutzen, konnte kein bleibender Einfluss auf die Gewaltbereitschaft nachgewiesen werden. Und geübte Spieler regt das virtuelle Gemetzel oft sogar weniger auf als Anfänger. Angesichts der riesigen Zahl der Anwender (alleine beim Marktführer „World of Warcraft“ sind es weltweit 11,5 Millionen) läge eine ursächliche Beteiligung an Amokläufen und anderen Gewalttaten, sofern es sie gibt, schon rein statistisch unterhalb der Nachweisgrenze. Ähnlich schwache statistische Zusammenhänge dürfte es mit dem Konsum von Gewaltfilmen, Hardcorepornos und Alkohol sowie mit Kampfsport, dem Testosteronspiegel und vielen anderen Faktoren geben. Auch als frühere Generationen mit Schreckschusspistolen „Du bist tot“ spielten, wurde ein Einfluss auf die Gewaltbereitschaft diskutiert. Ein Totalverbot von Shooter-Spielen, wie es Günther Beckstein und andere fordern, ist grundrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Auch dass Neuntklässler durchschnittlich 141 Minuten täglich mit Computerspielen verbringen (15,8 Prozent der Jungen sogar über 4,5 Stunden), wie eine in dieser Woche veröffentlichte Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt, hat mit Gewaltbereitschaft nichts zu tun. Die derzeit im Zusammenhang mit dem Winnenden-Massaker zitierte Studie unterscheidet nämlich nicht zwischen aggressiven und friedlichen Spielen.

Was bleibt also, um Amokläufen an Schulen vorzubeugen? Der Lehrerverband will mehr Schulpsychologen. Die Polizeigewerkschaft fordert Zugangskontrollen mit Chipkarten. Kriminalpsychologen wollen mit Fragebögen potenzielle Amokläufer identifizieren. Familienministerin von der Leyen will über Gewalt aufklären. Der Philologenverband schlug eine Gefahrenzulage für Lehrer vor.

Nur das Waffenrecht, darin ist sich sogar die große Koalition einig, darf nicht geändert werden. Dabei steht fest, dass der Täter von Winnenden nicht nur Gewaltspiele „genutzt“ hat – sondern auch eine großkalibrige Beretta 92 aus dem Waffenarsenal seines Vaters. Wie dieser sind rund 1,5 Millionen Deutsche in Schützenvereinen organisiert. Dass Millionen legale Waffen samt Munition in deutschen Privathaushalten lagern, ist ein auf die mittelalterlichen Bürgerwehren zurückgehender Anachronismus. Warum müssen die Sportschützen heute, wo alle Gewalt vom Staat ausgeht, ihre Waffen nicht im Verein einschließen? Oder zumindest die Munition? Solange der Staat seinen Bürgern erlaubt, sich als Hobby private Waffenarsenale anzulegen, sind Massenmorde wie in Winnenden unvermeidbare Kollateralschäden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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