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Was WISSEN schafft: Warten auf den Impfstoff

Das Aidsvirus zeigt der Wissenschaft ihre Grenzen auf. Die jüngsten Forschungsergebnisse ernüchtern die Hoffenden. Bekannte alternativen Bekämpfungsmethoden werden von Unternehmen wie Aktivisten klein geredet. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.

Früher gab es noch echte Optimisten unter den Aidsforschern. Der Starvirologe Bob Gallo zum Beispiel war fest überzeugt, ein Impfstoff stehe „in etwa zwei Jahren“ zur Verfügung – das war 1984, im Jahr drei nach der Entdeckung der Immunschwächekrankheit Aids.

Auf dem 17. Internationalen Aidskongress, der diese Woche in Mexiko-Stadt stattfindet, ist von der Aufbruchstimmung früherer Jahre nichts mehr zu spüren. Die rund 25 000 Teilnehmer aus aller Welt müssen Bilanz ziehen nach einer Serie herber Misserfolge und Enttäuschungen.

Die großen Studien mit einer neuen Generation von Impfstoffen, den „Virusvektor-Vakzinen“, wurden vergangenes Jahr abgebrochen. Die darin zur Stimulation des Immunsystems mit eingeschleusten, eigentlich harmlosen Trägerviren (Virusvektoren) erwiesen sich als gefährliche Rohrkrepierer. Sie stimulierten ausgerechnet diejenigen Immunzellen (die T-Helferzellen), die das Aidsvirus zu seiner Vermehrung benötigt. Dadurch wurden harmlose Schnupfenviren, die man als Vektoren eingesetzt hatte, zu Mordsgehilfen des HIV: Die Infektionen und Todesfälle nahmen nach der Impfung nicht ab, sondern zu.

Auch die Vermeidung von HIV-Infektionen (Prävention) kommt nicht recht voran. Zwar konnten die Industrieländer die rasante Virusausbreitung der achtziger Jahre stoppen. Doch in Afrika und anderen besonders betroffenen Regionen lassen sich Kondomgebrauch, Monogamie und Enthaltsamkeit nur schwer vermitteln. Paradoxerweise wird die Prävention durch einen der größten Erfolge der Aidsforschung zusätzlich erschwert: Die seit einem Jahrzehnt verfügbare „hochaktive antiretrovirale Therapie“ (HAART) kann, durch eine Kombination mehrerer stark wirkender Medikamente, das Leben HIV-Infizierter um Jahre bis Jahrzehnte verlängern. In der Illusion, die Krankheit wäre damit heilbar, sehen gerade jüngere Menschen immer weniger ein, sich mit „Safer Sex“ herumquälen zu müssen.

Künftige Strategien im Kampf gegen Aids dürfen sich deshalb nicht darauf beschränken, weiter auf einen Impfstoff zu hoffen und den heranwachsenden Generationen Kondomgebrauch und Monogamie zu predigen.

Ein nach wie vor zu wenig geförderter Ansatz ist die Entwicklung von „Mikrobiziden“: Weil das Aidsvirus außerhalb des Körpers viel leichter angreifbar ist als nach der Infektion, könnten virushemmende Vaginalzäpfchen oder -cremes die Ansteckung verhindern. Dieses Prinzip, das übrigens bereits in den achtziger Jahren in Deutschland entwickelt wurde, hat bei den großen Pharmafirmen bis heute keinen hohen Stellenwert – wegen zu geringer Gewinnaussichten.

Auch eine Ausweitung der Aidstherapie mit HAART könnte die gegenwärtig weltweit 2,7 Millionen Neuinfektionen pro Jahr drastisch reduzieren. Unter effektiver Therapie nimmt die Konzentration der Viren (Viruslast) im Blut und anderen Körperflüssigkeiten so stark ab, dass diese Menschen kaum noch infektiös sind. Nach Schätzungen von Schweizer Wissenschaftlern liegt das Ansteckungsrisiko unter eins zu 100 000, wenn die Viruslast durch HAART auf null reduziert wurde – Kondome sind dann überflüssig. Wenn jeder HIV-Positive frühzeitig behandelt wird, kann sich die Seuche nicht mehr ausbreiten. Voraussetzung für diese Vermeidungsstrategie ist allerdings auch ein Umdenken bei den Aidstests. Statt diese nur in Ausnahmefällen und mit besonderem Einverständnis des Patienten durchzuführen, müssten möglichst viele Menschen – insbesondere in Risikogruppen – routinemäßig untersucht werden.

Eingefleischte Präventionsexperten wollen von einer Alternative zum Kondom jedoch vorerst nichts hören. Sie machen sich im Gegenteil Sorgen um die Ignoranz vieler Menschen den Aufklärungskampagnen gegenüber. So wird bei der 17. Internationalen Aidskonferenz in Mexiko-Stadt auch über eine neue Gefahr für drogenabhängige Frauen berichtet: Einer US-amerikanischen Studie aus St. Louis zufolge wurden 27 Prozent der Frauen aus dieser HIV-Risikogruppe schon von einem Polizisten zum Sex genötigt. Die Cops verübten die Übergriffe fast immer im Dienst – und meistens ohne Kondom.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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