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Meinung: Weber in weiß

Die Ärzte streiken, doch ändern muss sich der ganze Gesundheitsmarkt Von Jens Spahn

Ein Kommentator verglich die Ärzteproteste heute mit den Weberaufständen Ende des 18. und Mitte des 19. Jahrhunderts in Augsburg und Schlesien. Natürlich hinkt dieser Vergleich: Die Weber waren zumeist ungebildete Lohnarbeiter, deren Zorn sich gegen ihre preisdrückenden Arbeitgeber richtete, die sich ihrerseits der Konkurrenz zunehmend industrialisierter Billiganbieter aus dem In- und insbesondere dem Ausland erwehren mussten.

Trotzdem gibt es Parallelen. War bei den Webern der Status zwischen Selbstständigkeit und Lohnarbeit fließend, beklagen die niedergelassenen Ärzte heute zu Recht, dass sie als eigentlich selbstständige Freiberufler mehr und mehr über Bürokratie und Bezahlung in ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis zur Gesetzlichen Krankenversicherung gezwungen werden.

Die Weber mussten sich zunehmender Konkurrenz aus dem Ausland und insbesondere wesentlich günstigerer Maschinenproduktion stellen, während der Konkurrenzdruck aus dem Ausland für das deutsche Gesundheitswesen zwar (noch) überschaubar ist, sich aber auch hier eine Industrialisierung, Kapitalisierung und vor allem Privatisierung vollzieht.

Es gibt eine zunehmende Prozessorientierung in Krankenhäusern, bei Arzneimittelvertriebsstrukturen und auch in ärztlichen Praxen, die nicht zuletzt mit der Vergütung etwa über indikationsbezogene Pauschalen zusammenhängt. Wir erleben auf dem Krankenhausmarkt einen stetig wachsenden Anteil privater Klinikbetreiber. Apotheken und Großhandel schließen sich zu Einkaufs- und Marketingverbünden zusammen, und bei den niedergelassenen Ärzten werden wir in naher Zukunft neben medizinischen Versorgungszentren auch Zweigpraxen ermöglichen und das Einstellen von angestellten Ärzten durch Praxisinhaber vereinfachen. Pharmaindustrie und Medizinproduktehersteller sind sowieso seit jeher private Kapitalgesellschaften. Überschaubarere Zweige wie das Orthopädenhandwerk oder die Zahntechnik kommen zunehmend aufgrund ausländischer Konkurrenz unter Preisdruck und müssen sich fragen, ob eine ständische Organisation dem Stand hält.

Nun sagen viele, es läge doch in der Hand des Gesetzgebers, durch Einschränkungen und Schutzwälle den alten, gemütlichen Zustand zu erhalten. Ja, das läge es. Aber ich halte es für richtig, dass sich die Gesundheitspolitik zunehmend darum bemüht, das Rationalisierungs-, Wirtschaftlichkeits- und Wachstumspotenzial des Gesundheitsmarktes zu entfalten. Es gilt, Gesundheit nicht als reine staatliche Daseinsvorsorge zu begreifen, sondern als einen der Zukunfts- und Wachstumsmärkte Deutschlands, in dem heute schon über 4,2 Millionen Menschen beschäftigt sind. Immer mehr Menschen sind bereit, für sich und ihre Gesundheit Geld auszugeben, schon fast die Hälfte der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen werden nicht mehr von der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern privat erbracht.

All dies sind aber Entwicklungen, die den Betroffenen naturgemäß Angst bereiten. Denn sie haben unter ganz anderen Bedingungen den Schritt etwa in die freiberufliche Selbstständigkeit als Arzt oder Apotheker unternommen, haben investiert und sich verschuldet und sind für sich und ihre Familien ein unternehmerisches Risiko eingegangen. Und deswegen müssen wir den Übergang flankieren. Ein Apotheker etwa, der sich der Konkurrenz von kapitalisierten Versandapotheken aus den Niederlanden erwehren muss, hat ein Recht auf gleich lange Spieße – bei den Anforderungen an Sicherheit und Qualität genauso wie bei der Preis- und Angebotsgestaltung. Niedergelassene Arztpraxen dürfen in den Rahmen- und Zulassungsbedingungen nicht gegenüber medizinischen Versorgungszentren benachteiligt sein. Und den kommunalen und kirchlichen Krankenhäusern geben wir Übergangszeiträume, damit sie sich auf ein neues, marktwirtschaftlicheres Vergütungssystem einstellen.

Ja, das deutsche Gesundheitswesen verändert sich. Es entstehen größere Strukturen, Innovation und Technik erfordern eine gewisse Kapitalintensität, Qualitäts- und Transparenzanforderungen bedürfen der Abbildbarkeit und Prozessualisierung. Und es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Man kann sich entweder störrisch-ängstlich verweigern, oder aber die Chancen erkennen und sie nutzen.

Der Autor ist Bundestagsabgeordneter der CDU.

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