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Rekruten der Bundeswehr marschieren am nach einem öffentlichen Gelöbnis ab.

© dpa

Wehrpflicht: Ungeordneter Rückzug

Die Wehrpflicht wird ausgemustert – leider ohne eine gesellschaftliche Debatte. Ein Kommentar.

Sieht es so aus, wenn hierzulande eine Flagge eingeholt wird? Kein Signal, kein Trommelwirbel, dafür Konzepte, gewundene Erklärungen, vieldeutige Statements. Wir schaffen die Wehrpflicht nicht ab, wir setzen sie aus, wir lassen keine Denkverbote zu, wir finden Gründe, sie neu zu denken. Alles Originalton Angela Merkel. Aber jeder weiß, was er bedeutet: Die Wehrpflicht ist an ihr Ende gekommen.

Und es ändert nichts daran, dass diese Entscheidung, die ein wichtiges Institut dieser Republik betrifft, nicht mit einem harten Schnitt gefällt wird, sondern leise, im Gleichklang mit den Usancen – und Unsitten – des politischen Betriebs. Gewiss, es gibt genügend Gründe, nicht mehr daran festzuhalten, dass die jungen Männer eine Zeitspanne in ihren Lebensplan einplanen müssen, in der sie – benutzen wir ruhig die bemooste Formel – mit der Waffe der Gemeinschaft dienen. Sie tun es ja auch nicht mehr, zumindest ihre übergroße Mehrheit. Aber schwerer als das Problem mangelnder Wehrgerechtigkeit wiegt doch der Umstand, dass der Ort der Wehrpflicht im Gefüge von Staat und Gesellschaft unsicher geworden ist. Daran hat die Veränderung dieser Gesellschaft ebenso mitgewirkt wie der Wandel der Armee selbst.

Die Experten werden ja nicht müde, uns zu versichern, dass die Zeit der Massenarmeen vorbei ist – spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges. Und wer will da widersprechen? Ebenso liegt auf der Hand, dass die Zukunft den intelligenten, beweglichen Interventionsstreitkräften gehört. Und, keine Frage, dafür sind die Kurzzeitsoldaten mit sechs Monaten Ausbildungszeit ungeeignet.

Es geschieht deren Erfindern deshalb recht, wenn sich nun der Hohn über sie ergießt. Es ist leider nur zu berechtigt, dass die so Ausgebildeten – wie Michael Stürmer bissig formuliert hat – „hauptsächlich eine Gefahr für sich und andere sind“. Und das Verdikt einer Reform nach Kassenlage hängt dieser Reform deutlich an. Aber damit hält man sich doch nur mit Spott an einem Vorgang gütlich, der für sich genommen deprimierend ist.

Denn auch die Parteigänger der Wehrpflicht sind längst auf einem ziemlich ungeordneten Rückzug. Dabei hätte man sich gewünscht, dass das offenbar Unvermeidliche wenigstens das Resultat einer öffentlichen Debatte von Gewicht wäre. Mag sein, dass an der Wehrpflicht zuletzt nicht mehr viel zu verteidigen war. Doch zumindest hätte zur Sprache kommen müssen, was damit verloren geht – ein Konzept der Bundeswehr, das das deutsche Soldatenwesen aus dem Abgrund wieder herausholte, in den es mit dem „Dritten Reich“ gestürzt war.

Natürlich werden wir hören, dass auch eine Berufsbundeswehr das Erbe dieser Wiedergeburt des deutschen Soldatentums forttragen werde. Aber wohler wäre einem, wenn man spürte, dass der Abschied von der Wehrpflicht nicht in technokratisch-bürokratischem Reformgeist unternommen wird, sondern im Bewusstsein der tief reichenden Veränderung, die er für die innere Verfassung der Republik bedeutet.

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