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Meinung: Weich wirkt wenig

Sozial schwache Schüler haben es in deutschen Schulen schwer – das liegt nicht nur am System

Diesmal ist es Unicef. Alle paar Wochen offenbart eine neue Studie längst Bekanntes über die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die OECD-Studie dokumentierten den niedrigen Leistungsstandard, Unicef legt jetzt den Finger auf eine andere Wunde: die fehlende Chancengleichheit. In kaum einem anderen Land werden Kinder aus sozial schwachen Familien so schlecht gefördert, nirgendwo sind die Unterschiede so groß: Schüler aus Elternhäusern mit hohem Bildungsniveau erreichen ähnlich gute Leistungen wie die Finnen, Kinder aus sozial schwachen Familien sind auf dem Niveau von Mexiko, dem Schlusslicht der Pisa-Studie.

Das ist alarmierend. Anstatt nach Lösungen zu suchen, werden sogleich wieder Schuldige gefunden. Das Schulsystem sei schuld, sagen die Politiker; die Lehrer sind’s, sagen die Eltern; die vielen Ausländerkinder – so klagen alle gemeinsam. Und wer nun wirklich? Laut Unicef ist die Chancengleichheit in den Ländern besonders hoch, wo leistungsschwache und -starke Kinder gemeinsam und ganztägig unterrichtet werden: Bis zur 9. Klasse gehen zum Beispiel in Finnland alle in die gleichen Schulen. Scheinbar folgerichtig fordert Unicef, auch in Deutschland die Grundschulzeit zu verlängern.

Also wieder eine Schulreform? Fraglich, ob sie helfen würde. Denn auch dort – in einigen deutschen Gesamtschulen – wo starke und schwache Kinder gemeinsam unterrichtet werden, bleiben die Differenzen groß – nur auf niedrigerem Niveau. Vielleicht ist also gar nicht das Schulsystem ausschlaggebend, sondern das, was in den Klassenzimmern geschieht, und außerhalb? Eine große Koalition aus reformierten Lehrern, besorgten Eltern und Fachleuten übt sich in falsch verstandener Rücksichtnahme. Sie alle wollen von den Kindern wenig fordern und fördern sie so nicht. Worte wie Anstrengung, Fleiß, Disziplin, die woanders als selbstverständlich gelten, sind hier zu Lande gefährliche Reizworte. Sie erinnern an dunkle deutsche Geschichte, an verstaubte Paukschulen, sie gelten als Gegensatz zu den „guten“ Begriffen: sozial, gerecht, miteinander. Aber muss dies wirklich ein Gegensatz sein?

Lange bewegten sich die Schuldebatten in diesem quasi weich gespülten Wertesystem. Reformen, auch die von der Bundesregierung propagierte und gute Ganztagsschule, haben aber nur einen Sinn, wenn in dem Mehr an Schule auch mehr gefördert und gefordert wird. In jeder Schule, in jeder Familie – auch ausländischen – könnte die Kultur der Anstrengung beginnen. Dazu braucht es nicht nur Geld, sondern vor allem Zuwendung. Motivation. Und Werte, die Eltern haben und ihren Kindern vermitteln; dies kann keine Schule, kein Lehrer ersetzen. Dazu gehört aber auch eine Gesellschaft, die allen eine Chance gibt – egal, wie arm sie sind, egal, woher sie kommen.

Simone von Stosch

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