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Meinung: Welche Auswirkungen haben Pestizide auf Bienen?

„Wenn Bienen leiden“ vom 17. Juni Der Leser Professor Klaus-Werner Wenzel begrüßt diesen instruktiven Artikel.

„Wenn Bienen leiden“ vom 17. Juni

Der Leser Professor Klaus-Werner Wenzel begrüßt diesen instruktiven Artikel. Er reagiert auf die Aussagen von Bayer zu Saatgutbeizmitteln, die seiner Meinung nach Ursache allgemeinen Insektensterbens sind.

Unsere Jugend wird sich kaum erinnern, dass man früher nach einigen hundert Autobahnkilometern die Frontscheibe von toten Insekten säubern musste. Verschwunden ist auch der Anblick von Telefonleitungen, die dicht von Schwalben besetzt waren. Mancher steht da und merkt auch nicht, dass bei weniger Blütenvielfalt weniger Schmetterlinge auf unseren Wiesen umherfliegen. Ein solcher Natur-Mord geht auf die Pflanzengifte der Neonicotinoide (NN) zurück. Diese werden als systemische Pestizide in sogenannter Beize (Ummantelung) von Samen in den Boden eingebracht, die dann als extrem langsam abbaubare Substanzen Pflanzen in deren Gesamtheit einschließlich Blüten, Nektar, Pollen und Samen auf Dauer vergiften. NN wurden als Nervengifte „gegen saugende und schluckende Insekten“ von der Bayer AG 1991 auf den Markt gebracht und werden inzwischen in über 120 Ländern vertrieben. Leider gibt es nur in drei Ländern (Norwegen, Schweden, Großbritannien) Pflichtangaben zum Verkauf von Pestiziden, woraus sich allein für die Firma Bayer ein Jahresumsatz mit den NN von mindestens 750 Millionen Euro pro Jahr hochrechnen lässt. Ein derartiger Verdienst erklärt auch die in dem Artikel zitierte Behauptung des Bayer-Chefs Marijn Dekkers vor seinen Aktionären, dass „wissenschaftliche Untersuchungen jeglichen Einfluss von Saatgutbeizmitteln auf das zunehmende Bienensterben ausschließen“. Eine solche Tatsachenverdrehung spricht dem gegenwärtigen Wissensstand Hohn. Denn die verheerende Wirkung auf Bestäuber (Honigbienen, Hummeln, Wildbienen) – die immerhin für 35 Prozent der menschlichen Nahrungsmittel Voraussetzung sind – ist eindeutig nachgewiesen. Bayer pflegt sich auf eine kanadische, von Bayer bezahlte Studie zu berufen, deren wissenschaftlicher Ansatz so fragwürdig ist, dass die Studie von der US-amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA) für ungültig erklärt worden ist. Dagegen stehen objektive Daten in „First-Class“-Journalen: Hummeln und Wildbienen tragen zur Nahrungsmittelbestäubung ebenso viel bei wie Honigbienen, und deren vier häufigsten Arten sind in den USA zu 96 Prozent ausgerottet. Von Hummelköniginnen unter NN-Einfluss überleben 85 Prozent nicht den Winter. NN verursachen, dass 43 Prozent der futtersuchenden Bienen nicht mehr nach Hause finden, weshalb die Stöcke zugrunde gehen. Es fanden sich 50 Prozent Verluste von Bienen, die in kleinen Käfigen durch den Rand einer 20 Meter breiten NN-Staubwolke um eine Saatmaschine gezogen wurden. In einer Untersuchung vom österreichischen Imkerbund wurde in 20 von 22 im Winter zugrunde gegangenen Bienenstöcken bienengiftige Maisbeizmittel nachgewiesen. An der Harvard-Universität wurde gezeigt, dass durch NN nicht nach 12 Wochen, aber nach 23 Wochen 94 Prozent der Bienenstöcke ausgestorben waren, nicht so die NN-freien Stöcke. Letzteres zeigt, dass das Bienensterben auf eine kumulative Toxizität der kaum abbaubaren NN zurückgeht, und das die bei pharmakologischen Prüfungen übliche Beurteilung der Akuttoxizität mit der sogenannten LD50 ohne Aussage ist. Bekannt sind die Totalausfälle von Bienenstöcken in 2008 im Oberrhein-Tal (Bayer hat die Imker damals entschädigt) und kürzlich in Slowenien.

Bisher hat es die Chemielobby vermocht, vor dem britischen und dem holländischen Parlament mit „Experten“ (z.T. von einem Stiftungslehrstuhl der Bayer AG) ein Verbot der NN abzuwenden. Dagegen ist in Frankreich seit Mai 2008 der großflächige Einsatz von NN (Sonnenblumen, Raps, Mais) und in Italien seit August 2008 die NN-Vergiftung von Maisfeldern verboten. Die Maisernte ist daraufhin sogar ertragreicher geworden. Erfolgreich ist es, die Pflanzenart von Jahr zu Jahr zu wechseln, so dass die Schädlinge im Frühjahr keine Nahrungspflanzen vorfinden. Es ist zu hoffen, dass der Einfluss der Chemieindustrie nicht anhalten wird. So hat zum Beispiel der Ombudsmann der Europäischen Union, P. Nikiforos Diamandouros, auf Antrag der österreichischen Volksanwaltschaft die Kommission beauftragt, Stellung zu nehmen, ob bei der Zulassung NN vorhandene wissenschaftliche Kriterien außer Acht gelassen worden sind, die eine Ursächlichkeit der NN auf das Bienensterben vermuten lassen. Desweiteren mehren sich nun Erkenntnisse, dass NN nicht nur für das Insektensterben verantwortlich sind. So sterben in NN-

vergifteten Gewässern auch Molusken- und Krebsarten ab. Auch junge Blaukrabben sterben unter NN-Einfluss bei der Häutung. Als schwerwiegend dürfte die Beobachtung japanischer Forscher gelten, die kürzlich beschrieben haben, dass vermutlich das Hirngewebe neugeborener Ratten verzögert wächst. Und Ergebnisse an Ratten sind in der Regel auf den Menschen zu übertragen.

— Prof. Dr. med. Klaus-Werner Wenzel,

Mitglied in der IUCN-Task-Force on Systimic

Pesticides (als Insekten-Experte und Mediziner),

der internationalen Naturschutzorganisation

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