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Welterbe: Wahn der Weltkultur

Berlins neuer Antrag zur Unesco-Liste würdigt Bauten der Moderne. Die gab’s auch andernorts

Die Welterbeliste der Unesco ist mit inzwischen 851 Eintragungen aus 141 Ländern wahrlich aus dem Lot geraten. Schließlich sollen nur solche Kultur- oder Naturdenkmäler geadelt werden, die als einzigartig, authentisch und universell anzusehen sind. Doch angesichts der unvermeidlichen Weite der Unesco-Kriterien lassen sich mühelos Tausende von Bauwerken, Stadtensembles und Naturgebieten benennen, die die Eintragung auf die Welterbeliste ebenso verdient hätten wie ihre erfolgreichen Vorgänger.

Berlin ist mit der Museumsinsel bei der Unesco verzeichnet. Zu Recht: Die Museumsinsel ist ein einmaliges Ensemble von zugleich weltweitem Rang. Berlin indessen hat schon den nächsten Antrag zusammengestellt. Nunmehr sind es die wichtigsten Sozialsiedlungen der 20er Jahre, die bei der Unesco Anerkennung finden sollen. Über die baugeschichtliche Bedeutung der Wohnanlagen von Bruno Taut und seinen Mitstreitern unter der Avantgarde der Architektenschaft kann es keinen Zweifel geben, ob Hufeisensiedlung, Onkel Toms Hütte oder Wohnstadt Carl Legien. Andererseits ist der Großsiedlungsgedanke der 20er Jahre Gemeingut ganz Europas – und fand so unterschiedliche Ausprägungen wie die anheimelnden Klinkerbauten Amsterdams, die stolzen Arbeiterpaläste des „roten Wien“ oder die kollektivistischen Experimentalstädte der jungen Sowjetunion.

Es ist gerade ein Merkmal der Moderne, dass ihre Leitgedanken universelle Bedeutung beanspruchten. Es ging der engagierten Avantgarde um die Lösung der drängenden sozialen Probleme, die ihr die Mietskasernen der Vorkriegszeit hinterlassen hatten, in welchem Land auch immer. Die Moderne verstand sich nicht als baumeisterliches Virtuosentum, sondern als gesellschaftspolitische Bewegung, als Modellversuch eines menschenwürdigen Lebens. Das ist, jenseits aller Einzelnennung auf der Unesco-Liste, ihr wahrhaft universelles Erbe.

Mit einer Entscheidung über das Berliner Begehren ist so bald nicht zu rechnen. Die Unesco versucht, die von ihr selbst angefachte Antragsflut einzudämmen, ohne doch zu wissen, wie. Das lässt Zeit zum Nachdenken – darüber, ob nicht eine grenzüberschreitende Kooperation angebracht wäre, die die baulichen Zeugnisse der bei aller Misere doch so hoffnungsfrohen 20er Jahre als Ganzes in Ehren hält.

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