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Auch in Pakistan bestimmen die Wikileaks-Veröffentlichungen die Schlagzeilen.

© dpa

Kontrapunkt: Wenn gute Chemie explosiv wird

Was Wikileaks berichtet, zeigt einen Tiefstand der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Viel wichtiger ist aber, was aus Nah- und Mittelost berichtet wird, meint Stephan-Andreas Casdorff in seinem "Kontrapunkt". Dort kann es im Einzelfall gefährlich werden.

Entschuldigen wollen sich die USA nicht. Sie sagen nur, dass ihnen die Veröffentlichungen durch "Wikileaks" leid tun. Das ist schon ein klares Signal. Deutlicher kann man kaum sagen, dass alles, was in den Schriftstücken steht - von denen wenige "geheim" eingestuft sind oder "vertraulich" -, weiter gilt. Washington, das offizielle, stellt sich damit hinter Wertungen von namentlich nicht genannten Mitarbeitern, Referenten, wem auch immer, die Angela Merkel als Kanzlerin sehr kritisch betrachten und Guido Westerwelle als Außenminister die Qualifikation für sein Amt absprechen. Und eine höchst unsympathische Persönlichkeit zusprechen.

Das können in Zukunft interessante deutsch-amerikanische Gespräche auf hoher und höchster Ebene werden: Sie wissen jetzt, was sie voneinander zu halten haben. Und wie die Deutschen als Verbündete einschätzt werden. Da möchte man doch zu gerne mal in den kommenden Monaten hinter die geschlossenen Türen schauen, wenn es um wichtige Fragen geht, zum Beispiel um: Abrüstung, Westerwelles Lieblingsthema. Oder durch ein "Leak" einen Originalton einfangen zum Thema Afghanistan und Truppenabzug. Hier gibt es unterschiedliche Interessen, die schon vorher schwierig in Übereinstimmung zu bringen waren.

In jedem Fall lässt sich, fernab von allen Beteuerungen und auch Beschönigungen, sagen: Das ist der Tiefstand der deutsch-amerikanischen Beziehungen der Neuzeit, schlimmer als das, was Helmut Schmidt und Jimmy Carter von je dem anderen hielten, oder George Bush der Jüngere von Gerhard Schröder. Sicher, Staaten haben keine Freunde, Staaten haben nur Interessen, lautet der Lehrsatz von Lord Palmerston. Aber freundschaftlicher Umgang kann das Politisch-Diplomatische ungemein erleichtern.

Nicht von ungefähr sprechen auch die Amerikaner von "chemistry", der Chemie, die zwischen politischen Persönlichkeiten stimmen müsse. Die gute Chemie zwischen, zum Beispiel, George Bush dem Älteren und Helmut Kohl hat viel dazu beigetragen, dass die deutsche Einheit kommen konnte; die Chemie zwischen Kohl und Bill Clinton hat ihr weiter aufgeholfen. Zwischen Merkel und Barack Obama herrscht dagegen Fremdheit, Kühle. Dazu brauchte es nicht "Wikileaks", das herauszufinden, nur haben es die Berichte bestätigt.

Alle Berichte über Politiker aller Parteien und dazu die veröffentlichten Äußerungen der Politiker übereinander mögen unangenehm berühren, weil sie sich wie Getratsche ausnehmen. Dennoch sind sie insofern relevant, als sie die Menschen, die Deutschland regieren (und die Opposition gehört dazu) im Spiegel auswärtiger Beobachter zeigen. Journalisten, dazu ausgebildet, konnten sie auf Relevanz prüfen, und auch darauf, ob sie zutreffen können, Quellen wurden geschützt.

Aber was sich im Lauf der Zeit aus Gründen realpolitischer Klugheit wieder richten lässt zwischen den USA und ihrem stärksten europäischen Ansprechpartner, den Deutschen; was sich wieder einspielt, wenn sich Vertreter beider Länder begegnen und einander ironisch vorhalten, dass sie das aber nicht gleich wieder "leaken" sollen - alles das ist ja nur eine Episode zwischen, mehr oder weniger, Freunden. Viel wichtiger ist, was aus Nah- und Mittelost, was von arabischen Potentaten, was aus der Türkei und anderswo berichtet wird. Wenn das alles so stimmt, kann es international-verhandlungspolitisch und für die Einzelnen im Einzelfall gefährlich werden. Das ist auch ein Ergebnis der Veröffentlichung. Dessen Auswirkungen länger und tiefgreifender, je mehr bekannt wird. Der US-Regierung ist als das Mindeste zu wünschen, dass ihre Worte und Taten in den Regionen nicht allzu weit voneinander entfernt sind.

Was "Wikileaks" betrifft: Dahinter kommt keiner zurück. Die Politik insgesamt muss sich Gedanken machen, nicht über Einschränkungen investigativer Recherche, die in der vernetzten Welt erweitert wird um einen Informationskanal, sondern über die zukünftige Speicherung und Sicherung von Datensätzen. Was, wie lange, wie viel? Da wird es über die Koalition in Deutschland auch noch einiges zu berichten geben. Und zwar öffentlich.

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