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Meinung: Wenn keine Strafe hoch genug erscheint Die USA stellen 150 Todesurteile in Frage, nicht die Todesstrafe

RECHTSWEGE Der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, hat kürzlich entschieden, dass nur Geschworene über Leben und Tod eines Angeklagten entscheiden dürfen und nicht Richter. Mehr als 150 Todesurteile, die bereits ergangen sind, können danach auf Antrag der Verurteilten überprüft werden.

RECHTSWEGE

Der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, hat kürzlich entschieden, dass nur Geschworene über Leben und Tod eines Angeklagten entscheiden dürfen und nicht Richter. Mehr als 150 Todesurteile, die bereits ergangen sind, können danach auf Antrag der Verurteilten überprüft werden. Vorangegangen war ein Beschluss des Gerichtshofs, nach dem geistig Behinderte nicht hingerichtet werden dürfen. Eine solche Hinrichtung stelle einen Verstoß gegen die Verfassung dar, nach der keine „grausamen und ungewöhnlichen“ Strafen vollstreckt werden dürfen.

Die beiden Entscheidungen haben einen bedrückenden Hintergrund. Durch DNA-Analysen wurde die Unschuld von Menschen bewiesen, die bereits als Mörder verurteilt waren. Ob schon Menschen hingerichtet wurden, die nach der DNA-Analyse nicht als Täter in Betracht kommen, ist nicht bekannt geworden. Auch könnte es im Fall eines zum Tode Verurteilten, der zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt war, dazu kommen, dass ihm die Hinrichtung erspart bleibt.

Dass damit die Abschaffung der Todesstrafe in den Staaten eingeleitet wird, ist wenig wahrscheinlich. Man darf es sich mit der Kritik daran nicht leicht machen. Weit in die Geschichte reicht es zurück, dass eine tödliche Gewalttat mit der Tötung des Täters zu beantworten war. Die Wut, die sich gegen einen solchen Täter wendet, ist einfühlbar, ist verständlich. Über den Verzicht auf eine Antwort in der gleichen Sprache muss mit den Angehörigen der Opfer gerungen werden. Sie dürfen nicht als Unmenschen diskriminiert werden. Man muss sie bitten, in Respekt vor ihrem Schmerz, mit einem Mitgefühl, das man sich nicht zu leicht machen darf.

In seinem Essay „Betrachtungen zur Todesstrafe“, dem Essay „Die Guillotine“, hat Albert Camus, der Dichter und Literatur-Nobelpreisträger, deutlich gemacht, worum es geht: „Die Todesstrafe zerstört die einzige unbestreitbare Solidarität der Menschen, die gemeinsame Front gegen den Tod . . .“. Hat nicht der Täter diese Solidarität so verletzt, dass er aus der gemeinsamen Front unwiderruflich ausgeschieden ist? Kann man die Angehörigen der Opfer dafür gewinnen, davon überzeugen, dass gerade über den Menschen, der aus dieser Solidarität ausgebrochen ist, um dieser Solidarität willen nicht der Stab gebrochen werden darf? Bricht man den blindlings, macht man es ihm unmöglich, was er getan hat zu erkennen und auf sich zu nehmen als seine Schuld.

Leicht ist es, dies alles abzutun mit dem bösen Wort, man wolle gerne aufhören, auf Tötung mit Tötung zu reagieren, wenn die Herren Mörder so freundlich sind, aufs Morden zu verzichten. Die Taten, die das Bedürfnis auslösen, dem Täter anzutun, was er getan hat, sind grausam.

Aber wenn es uns selbst widerfährt, oder Verwandten, Bekannten, Menschen in unserer Nähe? Die Solidarität, die einzige unter Menschen, die gegenüber dem Tod, ist keine intellektuelle Chimäre, auch und gerade einem Menschen gegenüber, der Schreckliches getan hat. Mein Beruf, die Gerichtsberichterstattung, hat mich vielen Menschen begegnen lassen, die Unsägliches zu tragen hatten; denen keine Strafe hoch genug war, das auszugleichen, was über sie gekommen war. Manchmal sind wir uns im Gespräch plötzlich ganz nah gekommen – als wir über den Menschen sprachen, der ihnen genommen worden war: Darüber, was ihr Kind, ihre Tochter, ihre Schwester für sie gewesen war. Was sie verloren – aber auch was sie Wundervolles gehabt hatten.

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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