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Meinung: Wer dem Sex abschwört Bushs Keuschheitskampagne hilft nicht gegen Aids

Von Alexander S. Kekulé WAS WISSEN SCHAFFT Das Rezept der US-Regierung gegen Aids erscheint einfach, effektiv und kostengünstig: „Just say no“ – sag einfach nein zu Sex vor der Ehe, dann kann dir die „Lustseuche“ nichts anhaben.

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Das Rezept der US-Regierung gegen Aids erscheint einfach, effektiv und kostengünstig: „Just say no“ – sag einfach nein zu Sex vor der Ehe, dann kann dir die „Lustseuche“ nichts anhaben. Die amerikanischen Jugendlichen, von denen sich 99 Prozent schon vor der Ehe persönlich vom kleinen Unterschied überzeugen, will George W. Bush in einem groß angelegten Umschulungsprogramm auf den rechten Pfad leiten. In seiner Rede zur Lage der Nation erklärte er, Abstinenz sei der „einzig sichere Weg, Geschlechtskrankheiten zu vermeiden“. Zugleich kündigte der strenge Methodist eine Verdoppelung des Budgets für die Abstinenzkampagne an – noch in diesem Jahr sollen 270 Millionen Dollar fließen, um die voreheliche Fleischeslust zu exorzieren. Religiöse Eiferer wie die baptistische „True Love Waits“-Bewegung veranstalten bereits seit einigen Jahren „Virgin Pledges“, öffentliche Keuschheitsgelöbnisse, bei denen die Jugendlichen feierlich eine „Pledge Card“ unterschreiben. Angeblich sollen bereits 2,4 Millionen junge Frauen und Männer den Fahrschein zur unbefleckten Eheschließung in der Tasche haben.

Jetzt droht der als Aufklärungskampagne getarnte moralische Kreuzzug jedoch an nackten Tatsachen zu scheitern. Wissenschaftler der angesehenen Universitäten Columbia und Yale beobachteten sechs Jahre lang 12 000 Teenager mit und ohne Keuschheitsgelübde. Das vergangene Woche veröffentlichte Ergebnis erschüttert die Grundfesten der Enthaltsamkeitsdoktrin des Präsidenten: Von den „Virgin Pledge“-Jugendlichen hatten 88 Prozent Geschlechtsverkehr vor der Ehe, ihre Jungfräulichkeit konnten sie nur 18 Monate länger bewahren als ihre ungebundenen Altersgenossen. Das erstaunlichste Resultat der Studie ist jedoch, dass die der Keuschheit verpflichteten Jungen und Mädchen genauso oft Geschlechtskrankheiten bekamen, obwohl sie früher heirateten und weniger Partner hatten. Die Ursache hierfür stützt die Argumente der Bush-Gegner: Weil die auf Abstinenz eingeschworenen Teens und ihr prüdes Umfeld nicht über Verhütung und Geschlechtskrankheiten sprechen, sind sie im Ernstfall unvorbereitet. Wenn sie ihr Gelöbnis erst einmal gebrochen haben, holen sie das Versäumte in kurzer Zeit mit wechselnden Partnern nach, benutzen seltener Kondome und gehen später zum Arzt als ihre aufgeklärten Altersgenossen.

Dass die US-Regierung aufgrund dieser Erkenntnisse ihre moralinsaure Linie bei der Aidsprävention ändert, ist leider nicht zu erwarten. Die Unterstützung für den globalen Aidsfonds hat der Präsident gerade um 64 Prozent gekürzt, weil dessen international ausgewiesene Experten unter anderem auf sexuelle Aufklärung und Werbung für Kondome setzen. Stattdessen will Bush ein Programm auflegen, das in den von Aids, wirtschaftlicher Not und Bürgerkriegen heimgesuchten Ländern Afrikas für sexuelle Enthaltsamkeit wirbt. Außerdem sollen nur solche Staaten unterstützt werden, die beim Kampf gegen den Terrorismus mitmachen.

Die Tendenz der US-Regierung, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren, wenn sie gegen die politische Linie gehen, nimmt auch in anderen Bereichen groteske Züge an. Erst kürzlich feuerte der Präsident einige renommierte, aber nicht regierungskonforme Wissenschaftler aus seinem Bioethik-Rat und ersetzte sie durch stramme Abtreibungsgegner und eifernde Verfechter religiöser Werte. Und wie sich jetzt herausstellt, ignorierte das Weiße Haus vor dem Irakkrieg wissenschaftliche Expertisen von Regierungsstellen, die die Existenz von Massenvernichtungswaffen anzweifelten. Über 60 prominente Forscher, darunter 20 Nobelpreisträger, haben deshalb gerade in einem offenen Protestbrief die Wiederherstellung der wissenschaftlichen Freiheit und Unabhängigkeit gefordert. Leider ist zu befürchten, dass dem Brief das Gleiche widerfährt wie allen unbequemen Meldungen aus der Wissenschaft: Er wird ignoriert.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J.Peyer

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