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Meinung: Wer demonstriert denn da?

Eine gesellschaftliche Gruppe hat noch keine Lobby: die Junge Generation

Wofür wird nicht alles demonstriert: für die Öffnung des Brandenburger Tors, für die Tariftreue, gegen die Zuwanderung. Sogar Fußballfans machten auf dem Berliner Alexanderplatz unlängst auf ihre Belange aufmerksam und protestierten gegen wirre Spielpläne und Vergabe der Fernsehrechte.

Da wundert es umso mehr, für welche Belange offenbar niemand bereit ist, auf die Straße zu gehen: für niedrigere Rentenbeiträge zum Beispiel, für gesundere Nahrungsmittel, für mehr Wahlfreiheit im Gesundheitssystem. Heute protestieren wieder einmal die Ärzte und Gesundheitsanbieter – nicht aber die Patienten, die doch die Hauptbetroffenen der Gesundheitsmisere sind. Gründe hätten sie genug: immer höhere Beiträge bei immer weniger Leistungen, ein Kassensystem, das über seine Mitglieder verfügt, statt sich als Dienstleister zu sehen. Warum demonstriert da keiner?

Vielleicht liegt es an der Macht der Gewohnheit. Es gibt in Deutschland ein gut funktionierendes System der etablierten Interessenvertreter. Die Gewerkschaften verteidigen die Belange der vermeintlich machtlosen Arbeitnehmer gegen die mächtigen Arbeitgeber. Die Ärzte haben ihre lautstarke Lobby, die Bauern, die Beamten, die Senioren. Das ist gut und richtig so. Und doch ist das System der Interessenvertretung nicht mehr austariert. Aus den machtlosen Arbeitnehmern ist längst das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer geworden. Die verteidigen ihre mühsam erkämpften Rechte – den Kündigungsschutz, die Tariftreue, die geregelten Arbeitszeiten – mit Zähnen und Klauen und sind nicht bereit, etwas abzugeben an die, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln oder trotz hoher Qualifikation keine Stelle finden. Oft sind es die Jungen, die hochmotiviert auf der Straße sitzen, weil der Arbeitsmarkt sich ihnen nicht öffnet. Und oft sind es die Frauen, deren Wunsch nach mehr Flexibilität im Arbeitsleben nicht gehört wird.

In der Rentenfrage herrschen ähnliche Gesetze. „Die Rente ist sicher“ – der Satz klingt wie Hohn in den Ohren einer Generation, die ihrer ungesicherten Zukunft entgegensieht. Kommt den Älteren nicht in den Sinn, dass sie ihren Status quo auch auf Kosten der Jungen sichern? Die zahlen höhere Rentenbeiträge und wissen immer weniger, was am Ende für sie selbst übrig bleibt. Es gibt gute Argumente dafür, die Probleme der Rentenkassen auf alle Schultern gleichmäßig zu verteilen. Ist von Rentenkürzung die Rede, geht aber ein Sturm der Entrüstung durchs Land. Höhere Beiträge, die noch dazu das Problem nicht lösen, sondern nur vertagen, werden als gegeben hingenommen.

Im gesellschaftlichen Verteilungskampf hat sich eine neue Front gebildet: Jung gegen Alt. Aber auch hier gilt offenbar die Macht der Gewohnheit. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Jungen zwar für die Umwelt kämpfen und für eine gerechtere Weltordnung – lauter wichtige Ziele – aber keine Lobby bilden für eine längst überfällige Umverteilung zu ihren Gunsten?

Wieder sieht es so aus, als würde sich die Politik ganz und gar den etablierten Interessenvertretern beugen, als würde sie Reformen aus dem Weg gehen, um all die milde zu stimmen, die lautstark protestieren. Wie wäre es mit Flugblättern, Demonstrationen und Kampagnen – gegen die Macht der etablierten Lobbyisten?

Simone von Stosch

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