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Meinung: Wer nicht wächst, bleibt sauber

Warum Deutsche Kyoto mehr lieben als Amerikaner es tun

Natürlich, die Deutschen lieben das Kyoto-Protokoll. Der Klimaschutzvertrag wurde im transatlantischen Ringen mit Bush zu so etwas wie einem deutschen Glaubensbekenntnis. Man könnte boshaft sagen: Kein Wunder, wo die Wirtschaft nicht mehr wächst, steigt auch der Ausstoß an Treibhausgasen nicht. Wir sind bereits sauber. Auch der Internationale Gerichtshof (ICC) ist bei uns sehr populär, es sind ja die anderen, die dort angeklagt werden. Und ganz besonders wichtig ist uns der europäische Wachstums- und Stabilitätspakt. Die Kleinen würden uns sonst ja den Euro kaputtmachen.

Deutschland ist ein multilaterales Land. Eines, das keine strategischen Ziele mehr und keine Atomwaffen hat. Ein Land, das auf den fünf Stufen zum Öko-Nirwana kurz vor der Erleuchtung steht. In unserem letzten Leben waren wir alle eine Dose. Multilateralismus ist am einfachsten für jene, die keine irdischen Interessen mehr verfolgen.

Das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft (und der damit zusammenhängende Ausstoß von umweltschädlichen Gasen) hat dazu geführt, dass die Amerikaner ihre Emissionen laut Kyoto-Protokoll bis 2010 um 30 Prozent zurückfahren müssten. Oder den Russen ihre Emissionsrechte abkaufen. Der Amerikaner sagt schlicht: „Warum sollen wir der russischen Mafia Millionen Dollar zahlen, um in Detroit weiter Autos produzieren zu dürfen?" Und schon verliert der Russe seinen Hauptkunden für den Emissionshandel und sagt: „Dann machen wir bei Kyoto auch nicht mit. Warum sollten wir das Tempo unseres Wirtschaftswachstums beschränken?"

George W. Bush ist eine umweltpolitische Katastrophe auf zwei Beinen, ein im wörtlichen Sinne, „toxischer Texaner". Daran besteht leider kein Zweifel. Der amerikanische Energieverbrauch ist skandalös und Bushs Verbindung zur amerikanischen Industrie gut dokumentiert. Vermutlich wird er dennoch wiedergewählt. Das umreißt die Aussichten für Kyoto, das wiederum nur ein kleiner erster Schritt in Richtung Klimakontrolle sein kann.

Bushs Abneigung gegen multilaterale Prozesse und Projekte ist unzweifelhaft. Doch bei Kyoto und beim Internationalen Strafgerichtshof geht es vermutlich weniger um imperiale Ideologie als um irdische Interessenpolitik. Das gilt es zu verstehen. Würde Deutschland heute einen internationalen Vertrag unterzeichnen, bei dem es selbst viel für das eigene Land zu verlieren hat? Vermutlich nicht. Multilateralismus ist kein politisches Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Wir haben es erlebt: Deutschland, das sich für das Ozonloch ins Schwert stürzen würde, bricht selbst den Stabilitätspakt. Und da rede noch einer von multilateralen Idealen.

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