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Meinung: Wer regiert eigentlich?: Gebt euch einen Ruck

Da lächelt der Kanzler und sagt, dass die Länder, in denen er war, die Probleme gern hätten, die wir gerade haben. Das sagt er - und meint es ernst!

Da lächelt der Kanzler und sagt, dass die Länder, in denen er war, die Probleme gern hätten, die wir gerade haben. Das sagt er - und meint es ernst! Aber der Kanzler heißt nicht etwa Helmut Kohl, sondern Gerhard Schröder. Fast vier Jahre im Amt, und das Amt verändert den Mann. Zu viel.

Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei der Einstellung zur Veränderung. 1998 haben die Deutschen der SPD einen klaren Auftrag gegeben: Veränderung. Die Arbeitslosigkeit abzubauen, die Umverteilung von unten nach oben zu beenden, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, so lauteten Wahlslogans, und die Mehrheit der Wahlbürger hat sie geglaubt. Sie würde auch jetzt so gerne glauben dürfen - aber wem? Kanzler Schröder, der sich in seinem Verhalten und innenpolitischen Kurs so sehr verändert hat? Der gegenwärtig lieber nicht weiter verändert, weil er glaubt, bei zu viel Veränderung abgewählt zu werden? So hat Kohl geredet.

Die Lage ist ernst: Die Konjunktur ist eingebrochen, die Unternehmenssteuersenkungen sind verpufft, die Arbeitslosigkeit steigt trotz moderater Lohnrunden. Das NPD-Verbot ist stark gefährdet, weil der Verbotsantrag handwerklich erbärmlich vorbereitet wurde, die Zuwanderung droht im Wahlkampf verloren zu gehen. Und das ist nur die Innenpolitik. In der Europapolitik verbraucht Deutschland mit dem Theater um den blauen Brief seinen Kredit, in der überregionalen Außenpolitik sprechen Kanzler und Vizekanzler nicht in allem eine gemeinsame Sprache. Wegen dieser Bilanz will Schröder wieder gewählt werden? Da muss sich vorher noch viel ändern.

Lohnzurückhaltung, Umbau bei den sozialen Leistungen, neue Entlastungen für Unternehmen und Unternehmer, mehr Flexibilität der Arbeitnehmer, bessere Familienpolitik, solche Begriffe sind jetzt permanent zu hören. Von Schröder - und von Edmund Stoiber. Vom Kanzler und vom Kandidaten. Was auch heißt: Die SPD macht Unionspolitik. Was ist Original, was Kopie? Wenn sich das nicht mehr so recht voneinander unterscheiden lässt, dann muss sich etwas ändern. Es reicht nicht, der Union die Begriffe zu entwenden. Und wie lange will sich die SPD von der Union mit Versprechungen treiben lassen, ohne etwas dagegen zu setzen, das zeigt, wie sie sich die Gesellschaft von morgen vorstellt? Es kann nicht reichen, das alte "Zukunftsprogramm" der Union aus Kohls Zeiten abgearbeitet zu haben. Wozu vier weitere Jahre? Frei nach Hans-Jochen Vogel: Man möchte schon genauer wissen, wozu Schröder die Macht behalten will.

Der Kanzler, zurück aus Ländern, in denen sie gerne unsere Problem hätten, könnte sagen: Nach dem, was ich gesehen habe, müssen wir hier so handeln, dass wir deren Schwierigkeiten nie bekommen. Er könnte zum Beispiel sagen, dass wir einen neuen Gesellschaftsvertrag benötigen, um die Zukunft zu sichern. Analysiert ist genug, gehandelt längst nicht. Er müsste sagen, dass es jetzt ernst wird und alle Besitzstände überprüft werden müssen. Dass sich alle bewegen müssen. Wer etwas vom anderen fordert, ob Arbeitgeber, Gewerkschaft oder Partei, der muss verpflichtet werden zu sagen, wie es konkret geregelt und finanziert werden soll. Oder wie es konkret zu erreichen ist, dass sich das Geld fürs Soziale nicht nur immer weiter erhöht, sondern zielgenau eingesetzt wird. Wie der Einzelne für sich und für die Gesellschaft konkret Verantwortung übernehmen kann, aber alle zusammen Rücksicht auf kommende Generationen nehmen können. In der nötigen Strategie des Handelns für diese "Gesellschaft der Solidarität" ließen sich bestimmt Unterschiede zwischen den Parteien herausarbeiten, originelle und originäre.

Wie geht das: Solidarität im Kapitalismus, und alle machen mit? Wenn da inhaltlich nichts Wesentliches mehr kommt, keine Innovation, dann droht ein Wahlkampf um die schickere Frisur, den eleganteren Anzug, die flottere Zunge. Die Schröder hat. Oder um die bessere Familiengeschichte. Die Stoiber zu haben glaubt. Es kann allerdings sein, dass das gar nicht so viele interessiert. Nicht so viele jedenfalls, wie ein Ruck interessieren würde, der endlich durchs Land geht. Der Ruck, den Roman Herzog als Präsident schon 1997 gefordert hat. Der nicht kam. Monate später war der Kanzler abgewählt. Aber der hieß ja Kohl.

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