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Meinung: Wer wird Kanzlerkandidat der Union?: Kandidat im Konjunktiv

Kontrafaktische Geschichtsschreibung ist meist brotlos. Was gewesen wäre, wenn Wolfgang Schäuble, der zum Kanzler auserkoren schien, nicht in einem beispiellosen Sturz zum einfachen Abgeordneten zurückgestuft worden wäre - wen interessiert das?

Kontrafaktische Geschichtsschreibung ist meist brotlos. Was gewesen wäre, wenn Wolfgang Schäuble, der zum Kanzler auserkoren schien, nicht in einem beispiellosen Sturz zum einfachen Abgeordneten zurückgestuft worden wäre - wen interessiert das? Manchmal, sehr selten, hilft es, eine Ausnahme zu machen: Wenn die Umstände groß genug sind, dass man sich über Proportionen klar werden muss.

Stellen wir uns vor, es hätte jene zweieinhalb Monate, beginnend im Dezember 1999, in der Geschichte der CDU nicht gegeben. Jene, die den Nachfolger von Helmut Kohl im Bundesvorsitz dazu brachten, nicht wieder für dieses Amt zu kandidieren. Weil er, in einem Moment der Schwäche, der Vorsicht, ja, wohl auch aus einem schlechten Instinkt heraus, im Parlament nicht sofort zugab, eine Spende des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber für die CDU erhalten zu haben. Weil er sich danach, in einem Moment der gedanklichen Enge, in einen rechthaberischen Streit mit der früheren Schatzmeisterin der Partei verstrickte. Stellen wir uns vor, das alles und die irrationale Raserei der Öffentlichkeit danach hätte es nicht gegeben, als die See raste und ein Opfer wollte. Stellen wir uns vor, Teile der Union hätten nicht an seiner Demontage mitgewirkt und dabei eilfertige Lautsprecher gefunden. Schäuble würde die Partei noch führen und könnte wahrscheinlich auf eine hervorragend bewältigte Wegstrecke zurückblicken.

Nach der Bundestagswahl 1998 hatte sich die CDU aus einem tiefen Tal der Depression aufgemacht und umgehend in Hessen gesiegt. Wie Schäuble es vorhergesagt hatte. Es war seine gewagte - und knallhart konservative - Strategie, mit der er mehr als die Landtagswahl gewonnen hatte: für die CDU in der Gesellschaft eine wieder grundlegend veränderte Wahrnehmung, für sich selbst in der Partei unumstrittene Autorität. Mit Inhalten, getreu seiner auf dem Parteitag in Leipzig vor der verlorenen Bundestagswahl gehaltenen Rede. Die Union hätte ihre bis dahin nie gekannte - von rot-grüner Schwäche begünstigte - Siegesserie bei Wahlen fortgesetzt, über Nordrhein-Westfalen hinaus. Schäuble hätte die Kanzlerschaft vor Augen.

Dann kam der Sturz. Angela Merkel, seine Generalsekretärin, wurde Chefin, und nach einer kurzen Phase der Erleichterung, der neuen Hoffnung, stellte sich die Frage nach ihrer Eignung ein. Dies jetzt umso drängender, nachdem klar ist, dass Schäuble wieder uneingeschränkt politisch zur Verfügung stehen wird. In der Partei mehren sich die Stimmen, die nach (anderer) Führung verlangen. Die christdemokratisch fundierte Politik fordern. Die sich dem immer weitergehenden Absturz der CDU entgegenstemmen wollen. Heute gilt die Partei als inhaltslos, führungslos, konturlos. Und hat die schwierige Kür eines Kanzlerkandidaten für die nächste Wahl vor Augen.

Edmund Stoiber oder Angela Merkel? Das war bis jetzt die Frage. In der CSU sehen sie Merkels Schwächen - in der CDU-Führung aber auch zunehmend die von Stoiber: als Chef einer Regionalpartei mit begrenzter Wirkung in der Union; als Chef einer Alleinregierung, dazu mit der Möglichkeit, aus dem Vollen zu schöpfen. Eine landespolitische Kraft - die außerdem zögert. Deshalb kommt Schäubles Name ins Spiel: Weil er als ehemaliger Innen-Kanzler Renommee hat, auch den Respekt der CSU hätte und die Union hinter sich vereinigen könnte.

Schäuble wird in den nächsten Tagen von der Spendenaffäre juristisch rehabilitiert. Und politisch. Er fehlt der CDU, und er weiß es. Er weckt Hoffnungen. Damit macht er sich noch nicht zum Bewerber für die Kanzlerkandidatur der Union. Aber wieder zu ihrer Richtgröße.

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