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Meinung: Wer zu viel schreit

Das Sommertheater der Union zeigt: Stoiber sucht seine Rolle

Beim Versuch, mit Blick auf die Bundestagswahl die politische Szene zu beherrschen und die Agenda zu setzen, kann die Union ein wichtiges Zwischenergebnis verzeichnen: Otto Schily und Joschka Fischer mögen sich in ihrem Lager-Streit abmühen wie sie wollen, Wolfgang Clement kann den Hartz-Bockigen nach besten Kräften geben. Doch keiner schafft es, der Union die großen Rollen im diesjährigen Sommertheater streitig zu machen.

Unter den Dramatis Personae überragt einer alle anderen: So viel Stoiber gab es lange nicht mehr. Allenfalls im Bundestagswahlkampf 2002 hatte er eine ähnlich hohe Bühnenpräsenz. Nur, dass seine Rolle heute eine gänzlich andere ist. Damals war er in der Offensive: Zunächst jagte er die CDU-Vorsitzende und errang die Kanzlerkandidatur; sodann setzte er Schröder mächtig unter Druck. Im Stück, das derzeit zur Aufführung gelangt, sieht man Stoiber dagegen stets als Gejagten: In Bayern verstrickt er sich in eine Abwehrschlacht um die Causa Hohlmeier. In der Bundespolitik verkrallt er sich in eine CDU, die mit immer neuen programmatischen Ideen voranstürmt. Heute Kündigungsschutz, morgen Steuern und alle Tage Gesundheitsreform – permanent findet sich Stoiber in der Defensive.

Wie unbehaglich ihm dies ist, kann man an auch daran ermessen, dass sein Ton immer gereizter, aggressiver wird. Schon stellt er die CDU-Pläne zur Gesundheit in eine Linie mit den großen Chaos-Erfolgen der Bundesregierung von Dosenpfand bis LKW-Maut. Mit Differenzen in Detailfragen, mit Ringen um die besten Positionen hat Stoibers Wüten sicherlich etwas zu tun. Bei so viel Härte und Schärfe wie zurzeit liegt aber doch der Verdacht nahe, dass es um anderes geht. Um etwas, das Politikern zumeist noch wichtiger als das gemeine Wohl ist: die eigene Macht.

In diesem Spiel hat sich neuerdings manches verändert. In der Vergangenheit standen sich da zwei gegenüber, die eindimensionale Strategien verfolgten. Angela Merkel versuchte es mit taktischen Schlichen, mit tagespolitisch improvisierter Kleinkunst, während Stoiber den Kompetenzpolitiker gab, der alle Materien beherrscht, auf jede Sachfrage mit fundierten Antworten glänzt. Eben dieses Alleinstellungsmerkmal macht die CDU-Vorsitzende dem CSU-Chef seit vergangenem Sommer streitig. Das Reklamieren von Sachkompetenz ist nicht mehr allein seine Kernkompetenz – auf diese neue Lage findet er einstweilen keine strategische Antwort.

Noch darf er als der programmatisch Solidere gelten. Ein „durchgerechnetes“ Konzept wie das der CDU zur Gesundheitsreform, dessen Zahlen sich bei näherer Betrachtung als Luftbuchungen entpuppen, wäre ihm sicherlich nicht aus der Hand gerutscht. Er ist auch ein genügend erfahrener Gremienpolitiker, um sich in gemeinsamen Kommissionen durchzusetzen: Das im Frühjahr von der CSU erfolgreich destruierte CDU-Konzept zur Steuerreform hat dies bewiesen. Allmählich werden die Transaktionskosten für die CSU zur Wahrung der programmatischen Oberhand innerhalb der Union aber immer höher. Irgendwann könnte sogar mal einer auf die Idee kommen, den polternden Auftritt Stoibers nach einer bewährten Lebensweisheit zu beurteilen: Wer schreit, hat Unrecht.

Peter Siebenmorgen

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