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Meinung: Werden wir durch Google Glasses zum gläsernen Menschen?

„Leg’ endlich die Brille weg“ vom 2. März Die kurz vor Vollendung stehenden „Google Glasses“ – eine Brille, die, auf der Nase ihres Trägers, sein Gesichtsfeld unauffällig per Video aufnehmen kann – sind in meinen Augen ein Terrorgerät.

„Leg’ endlich die Brille weg“ vom 2. März

Die kurz vor Vollendung stehenden „Google Glasses“ – eine Brille, die, auf der Nase ihres Trägers, sein Gesichtsfeld unauffällig per Video aufnehmen kann – sind in meinen Augen ein Terrorgerät. Es löst den religiösen Horror des „ein Auge ist, das alles sieht, auch wenn’s in finstrer Nacht geschieht“ durch den säkularen Terror der grenzenlos vielen Augen ab, die nun ebenfalls nahezu alles sehen. Gegenüber dem einen Auge hat man die Freiheit, nicht daran glauben zu müssen, die „Google Glasses“ hingegen sehen und hören unausweichlich. An Sammelstellen zusammengeführt und in Verbindung mit Gesichtserkennungsprogrammen produzieren die Videos den unentrinnbar öffentlichen Menschen. Es ist geradezu zynisch, wenn die Autorin des Artikels diesen Terror bei einer Art Schwarm-Humanität gut aufgehoben sieht, indem sie sagt, am Ende werde Google Glasses das sein, was die Menschen daraus machen. Die Datenschutzgesetzgebung sollte sich dringendst mit dieser Materie befassen!

Dr. Rainer Schneewolf, Plattenburg

Mein Herr, Sie haben mich fixiert!“ Mit diesen Worten fordert der Protagonist in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ einen Zeitungsleser im Caféhaus zum Duell heraus. Der Ehrenkodex des wilhelminischen Zeitalters hat sich – zum Glück – überlebt. Heutzutage werden uns immer neue technische Geräte angeboten, die das Leben komfortabler machen sollen, zugleich aber nicht so sehr die Ehre als vielmehr die Autonomie des Menschen einschränken. Dazu gehört neuerdings auch Google Glass, ein High-Tech-Display, das halbseitig auf ein Brillenglas (daher die Einzahl „Glass“) gesetzt werden kann und das es dem Nutzer erlaubt, unauffällig unterwegs im Internet zu surfen, ohne ständig das Display seines Smartphones fixieren zu müssen.

Solchen positiven Aspekten einer unauffälligen Nutzung des World Wide Web steht allerdings eine Funktion dieses digitalen Monokels gegenüber, die eine systematische Missachtung der Persönlichkeitsrechte anderer Menschen ermöglicht. Wer Google Glass trägt, kann seine gesamte Umgebung unbemerkt rund um die Uhr filmen und die Aufnahmen zeitgleich online stellen. Er kann auch Gespräche aufzeichnen. Werden auf diese Weise gezielt aufgenommene Bilder von Menschen veröffentlicht, die keine Personen der Zeitgeschichte sind, so ist dies in Deutschland strafbar. Aber schon die heimliche Aufnahme von entgegenkommenden Passanten oder Zeitungslesern im Café ist ein inakzeptabler Eingriff in das Recht am eigenen Bild, das im Internet-Zeitalter in Vergessenheit zu geraten droht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt auch auf der Straße und schützt den Einzelnen davor, fotografiert oder mit Kameras beobachtet zu werden. Eine solche Entwicklung lässt sich auch nicht mit der Vision beschönigen, in Zukunft – wenn Google Glass deutlich preiswerter geworden ist – könnten sich alle in „demokratischer“ Weise gegenseitig überwachen. Realistischer ist die Prognose, dass Google Glass Stalking zum Volkssport machen wird.

Wichtiger aber ist, dass es mit der gegenseitigen Beobachtung nicht sein Bewenden hätte. Denn alle Bilder und Videosequenzen ebenso wie sämtliche Informationen über die Nutzung des Internets durch den Träger von Google Glass werden außerdem bei Google gespeichert. Dieses Unternehmen hat bekanntlich anlässlich seines Projekts Street View nicht nur ganze Straßenzüge gefilmt und ins Netz gestellt, sondern bei dieser Gelegenheit heimlich auch private W-Lan-Zugänge überwacht und Inhaltsdaten wie Passwörter abgehört, wofür Google soeben in den USA eine Millionenstrafe zahlte. Man stelle sich vor, Google, Apple oder Facebook würden an jeder Straßenecke Videokameras und Richtmikrofone anbringen. Der öffentliche Aufschrei wäre vorprogrammiert. Stattdessen bedient sich Google mit Glass jetzt seiner Kunden, die Videokameras vor dem Gesicht tragen und ein Unternehmen, das sich immer mehr zum globalen Informationsmonopol entwickelt, mit einer Flut von Bildern versorgen, die mit Mitteln der Gesichtserkennung alsbald die sekundenschnelle Identifikation der gefilmten Menschen ermöglichen werden.

Der britische „Daily Telegraph“ hat deshalb treffend von „Orwellscher Überwachung in flauschiger Verkleidung“ gesprochen. Insofern muss hier der Gesetzgeber eine rote Linie ziehen; es ist an der Zeit, entsprechende Überlegungen eines früheren Innenministers wieder aufzugreifen. Allerdings macht es wenig Sinn, techniknahe gesetzliche Verbote zu formulieren, denn die Technik ändert sich zu schnell. Der europäische Gesetzgeber, der gegenwärtig einen neuen Rechtsrahmen für den Datenschutz in der Union berät, muss hierauf eine intelligente Antwort finden, die auch für Google verbindlich ist. Es reicht nicht aus, darauf zu vertrauen, dass einzelne Restaurantinhaber das Tragen von Google Glasses untersagen und andere es erlauben. Was auch immer der Gesetzgeber für Regeln erlässt, wir sollten uns darüber verständigen, dass wir nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in der man gegen seinen Willen gefilmt und auf den Servern von Google oder anderen Unternehmen „fixiert“ werden darf.

—Alexander Dix, Berliner Beauftragter

für Datenschutz und Informationsfreiheit

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