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Meinung: Wertevermisser in Not

Auch nach dem Scheitern von Rot-Grün ist der konservative Mensch politisch obdachlos

Es wäre ein so schönes Projekt, es wäre ein so schönes Programm gewesen: Ein moderner Konservativismus, der die ostdeutsche Protestantin Angela Merkel und die katholische Trachtenprozession im bayerischen Maria Eck versöhnt, das Kyoto-Protokoll mit den deutschen Mittelgebirgsbauern zusammenbringt, den Tierschutz mit den Schützenvereinen, den Sozialstaat mit dem Neoliberalismus, die leistungsorientierte Spitzenbildung und das spielerische Lernen. Kinder und Karriere. Glaube und Intellekt.

Das Beste aus allen Welten verlangen jetzt die, die nach dem Scheitern des rotgrünen Projekts und vor dem Beginn des schwarzroten Experiments von einem neuen politischen Leitbild träumen. Die versuchen damit die geistige Grundlage für die kommenden drei oder vier Jahre, oder doch zumindest eine intellektuelle Basis für die verstörte CDU zu skizzieren. Der CDU fehle es an Wärme und an Inhalten. Die Wärme sei mit der Entscheidung für Angela Merkel und deren Hinwendung zum Liberalismus abhanden gekommen. Und die Inhalte drohten nun in den Koalitionsgesprächen mit der SPD koppheister zu gehen.

Was also ist ein moderner Konservativer, in diesen politischen Farben ausgeleuchtet? Er wäre der Prototyp eines Politikers für die große Koalition, oder der Idealfall eines besonnenen Intellektuellen in einer schwarzgünen Konstellation. Er würde ein christliches Weltbild mitbringen, und dennoch den Renovierungsbedarf der Gesellschaft erkennen. Er würde klassische Familienpolitik betreiben, aber die Schwulenehe nicht verdammen. Er könnte sich mit einem Fördern-und-Fordern-Programm auf dem Arbeitsmarkt ebenso arrangieren wie mit einer generationengerechten Gesundheits- und Rentenreform. Zumutungen ja, würde er sagen, aber solche, bei denen die Menschen mitgehen können. Kurz: Der moderne Konservative ist ein guter Mensch – ungefähr genauso gut wie der bürgerliche Liberale, oder der aufgeklärte Sozialdemokrat.

Die Wertevermisser aus den Metropolen verkennen dabei, dass moderner Konservativismus ein Widerspruch in sich ist – es kann ihn nicht geben. Denn konservativ ist im Kern immer das, was vom Modernen übrig bleibt. Im Idealfall ist es das, was würdig ist, bewahrt zu werden. Im schlimmen Fall sind es Ressentiments, im schlimmeren Ignoranz.

Konservative Werte sind Haltestellen der Moderne. Der Mensch braucht sie, um sich zu orientieren, gelegentlich auch, um zur Besinnung zu kommen. Deshalb versperrt sich der Konservativismus gegen die Zumutung, sich zeitgemäß zu wenden. Vielleicht haben sich deshalb die CDU-Wähler in Angela Merkels Programm unbehaust gefühlt, vielleicht hat es sie deshalb genervt. Sie haben sich nicht wiedergefunden, sie haben hinter all dem Modernen und Ehrlichen das ruhige Selbstbewusstsein und die gesunde Skepsis gegenüber den vermeintlichen Sachzwängen der Gegenwart vermisst.

Ähnlich wie Gerhard Schröders neue Mitte aus dem Jahr 1998 verkannte, dass das traditionell sozialdemokratische Herz immer noch links sitzt, ignorieren diejenigen, die nun die CDU an neuen Ufern weiden sehen wollen, dass die christdemokratischen Wähler in ihrer Mehrheit gar nicht dynamisch nach vorn blicken wollen.

Das müssen sich die politisch Obdachlosen klarmachen, die in diesen Zeiten ein bisschen traurig auf die CDU blicken. Weil sie dort zwar zwischenzeitlich das Versprechen gefunden haben, eine Partei zu werden, die zu ihnen passt. Aber nicht die Verhältnisse, die dazu passen.

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