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Westerwelle vs. Merkel: Mangel an Stabilität

Die Kanzlerin und der Vize-Kanzler sind in der EU-Politik uneins. Offen eingestehen will Angela Merkel das aber nicht. Es knirscht in der Koalition.

Das stellen wir uns mal einen Moment vor: Außenminister Fischer hätte Kanzler Schröder auf einem zentralen Politikfeld, dem der Europapolitik, nicht nur widersprochen, sondern ihm auch noch vorgehalten, eine völlig falsche Weichenstellung vorgenommen zu haben. Oder Außenminister Steinmeier hätte sich so gegenüber Kanzlerin Merkel geäußert. Da wäre aber was los gewesen, alle hätten gedacht – und auch gesagt –, dass die jeweilige Koalition vielleicht nicht am Ende, aber doch stark gefährdet sei. Im Hinblick auf das gegenwärtige Regierungsbündnis sagt das keiner, was erstaunlich ist, wo doch Außenminister Westerwelle sich exakt so wie beschrieben verhalten hat. Es kann doch nicht egal sein, was Westerwelle sagt, nicht bei dieser Dimension des Fehlers, den er Merkel unterstellt.

Aus Sicht des Vizekanzlers und Außenministers hat sich die Chefin der Regierung nämlich vom französischen Staatspräsidenten über den Tisch ziehen lassen. Der wollte verhindern, dass Defizitsünder in Europa demnächst automatisch bestraft werden und nicht erst dann, wenn sich zwei Drittel der EU-Mitglieder darauf verständigen. Das ist ihm gelungen. Westerwelle hält das für grundfalsch und will, sagen wir mal so, die Beweislast umkehren: Die Sanktionen werden gegen Defizitsünder verhängt, es sei denn, zwei Drittel stimmen dagegen. Das hat Merkel vor dem Treffen auch so gesehen, aber dann bei Nicolas Sarkozy eingetauscht für das sogenannte Insolvenzrecht von Staaten; jedenfalls meint sie das und findet es auch noch einen Erfolg. Aber sie findet ja auch, dass sie sich mit ihrem Vize einig ist.

Humbug ist das, nichts anderes. Zunächst müssen solche Zugeständnisse, wie die Kanzlerin sie vorgenommen hat, in einer Koalition verabredet werden. Selbst wenn die Entscheidungen in Europa mehr und mehr auf die Regierungschefs übergehen. Dann ist aber auch noch gar nicht gewiss, dass sich Merkel und Sarkozy im Kreise der Kollegen durchsetzen könnten; das ist dann so ähnlich wie im Fall des Sanktionsregimes, von dem sie behauptet hat, es werde auch nur von drei Regierungschefs unterstützt. Kaum zu glauben ist die Vorstellung, es könnte sich doch um eine vorab konzertierte Aktion der Kanzlerin mit ihrem Koalitionspartner gehandelt haben, nach dem Motto: Du, Guido, machst so viel Rabatz, dass ich nachher zu Nicolas sagen muss, pardon, ich habe es versucht, aber vergeblich. Das wäre allerdings überkomplex gedacht und als Strategie der bei Europathemen ohnedies wenig geneigten Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln. Also bestimmt nicht gewinnbringend, was die Zustimmung in der Sache und in den Umfrageprozenten angeht.

Zumal Westerwelle, bei allem, was man ihm sonst vorhalten mag, in diesem Fall einen Punkt auf seiner Seite hat: Es ist nicht bloß ein Mechanismus, den er in Kraft setzen will, sondern eine hochpolitische und Europa disziplinierende Angelegenheit. Wer einen Defizitsünder nicht bestrafen will, muss genauso wie vorher auch politisch argumentieren; alle Faktoren in je ihrer Unterschiedlichkeit können genauso berücksichtigt werden. Nur ist im Sinne der Nachhaltigkeit viel mehr Druck dahinter. Dominanz der Beliebigkeit hat EU-Europa genug erlebt.

An dieser Weichenstellung entscheidet sich viel. Sie ist so wichtig, eben weil es sich um ein für Deutschland zentrales Politikfeld handelt. Der Kanzlerin sollte bewusst sein, dass man daran sogar eine Koalition scheitern lassen kann.

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